Justiz

Verfassungsjurist: Kurz' Missbrauch-Vergleich "ist unverschämt"

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) REUTERS
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Angesprochen auf die Kritik der ÖVP an der Justiz, strengt der Kanzler einen Vergleich mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche an.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat einen Vergleich zwischen Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche und angeblichen Missständen in der Staatsanwaltschaft gezogen - und löst damit scharfe Kritik aus. „Das ist unverschämt", befand Verfassungsexperte Heinz Mayer am Dienstag. Die FPÖ ortet indes eine „Sonderbehandlung" des Kanzlers, da er, anders als üblich, nicht von Staatsanwälten, sondern von einem Richter zum Verdacht, er habe sich einer Falschaussage schuldig gemacht, befragt wird.

Der Reihe nach: Kurz hatte in einem Videointerview gemeint, es müsse „möglich sein, dass die Arbeit von Einzelpersonen kritisch hinterfragt werden darf". Weiters meinte er: „Es gab eine Institution, die ist früher niemals hinterfragt worden - das ist die katholische Kirche." Und: „Als es Missbrauchsfälle gegeben hat, haben einige sogar versucht, das zu vertuschen - und das war am Anfang nicht gern gesehen, wenn es öffentlich Kritik an der Kirche gab. Ich glaube, dass das der Kirche nicht gut getan hat. Ich glaube, keine Institution sollte sakrosankt sein", sagte Kurz. Überdies sollte „jeder in Ruhe seiner Arbeit nachgehen können. Aber wenn sich jemand etwas zuschulden kommen lasst, dann ist es auch legitim, das anzusprechen." Er glaube jedenfalls, „dass wir schon im Bereich der WKStA (Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Anm.) hier einige auch Problemfelder gesehen haben in der letzten Zeit."

SPÖ fordert Entschuldigung bei Missbrauchsopfern

Als er die Aussagen des Kanzlers zu Kirche und Justiz gehört habe, sei er erst einmal aufgestanden und eine Runde im Wohnzimmer gegangen, erzählte Mayer: „Das Gelindeste, was man dazu sagen kann, ist: Das ist unverschämt." Der Vergleich sei einfach ein „Holler". Schärfer reagierte am Dienstag SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim. Sie forderte per Aussendung von Kurz nicht nur eine Entschuldigung bei der Staatsanwaltschaft, sondern auch bei Missbrauchsopfern, denn immerhin setze er mit seinen Äußerungen sich selbst mit Opfern von sexuellem Missbrauch und Machtmissbrauch gleich. „Dass Kurz die Ermittlungen gegen sich als unangenehm empfindet, mag sein. Sich damit aber mit Gewaltopfern zu vergleichen, ist völlig unangemessen“, hielt sie fest.

Zadic pocht auf Ende der Politisierung

Darauf angesprochen, dass für Kurz in Zusammenhang mit den Ermittlungen bezüglich einer möglichen Falschaussage im U-Ausschuss eine spezielle Bestimmung schlagend wird, meinte Mayer: Sie habe bisher in der Praxis keine Bedeutung gehabt, aber einen „klaren Wortlaut", und demnach könne man hier fast nicht zu einem anderen Ergebnis kommen. Er hätte wohl auch so entschieden, „schon allein deshalb, um nicht den Opfermythos zu nähren". Die Entscheidung des Justizministeriums sei rechtlich „einwandfrei".

FPÖ-Chef Herbert Kickl vermutet dahinter indes etwas anderes: Justizministerin Alma Zadic (Grüne) habe damit einen Wunsch des Kanzlers erfüllt, die Ministerin habe „den ÖVP-Filz im Justizministerium offenbar nicht einmal ansatzweise im Griff", monierte er in einer Aussendung.

Die Angesprochene wehrte sich prompt forderte ein „Ende der ständigen Politisierung der Debatte, aber auch der Staatsanwaltschaft". Die Entscheidung, dass Kurz von einem Richter befragt werde, „ist weder ein Triumph für die ÖVP oder den Bundeskanzler, noch ist es in irgendeiner Form eine Kritik an der Arbeit der WKStA. Und ich muss eines sagen: Auch die Kritik der Opposition ist in dieser Form nicht angebracht, es ist eine Rechtsfrage, die anhand des Gesetzes durch die zustände Sektion beurteilt wurde", sagte Zadic im „Ö1"-Mittagsjournal. Die Frage sei von drei Stellen beurteilt worden: der zuständigen Sektion, der Oberstaatsanwaltschaft und dem unabhängigen Weisungsrat.

Zwist mit der WKStA

Die ÖVP und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft liegen schon länger miteinander im Clinch. Die WKStA ermittelt nach einer Anzeige gegen Sebastian Kurz wegen des Verdachts, den Ibiza-Untersuchungsausschuss in mehreren Punkten falsch informiert zu haben. Das von den Grünen geführte Justizministerium hat am Montag - entsprechend dem Wunsch von Kurz' Anwalt - entschieden, dass der Kanzler nicht von den Staatsanwälten, sondern von einem Richter einvernommen wird. Es handelt sich dabei um eine Bestimmung der Strafprozessordnung, wenn sowohl eine besondere Bedeutung des Beschuldigten als auch eine besondere Bedeutung der Straftat und daher großes öffentliches Interesse gegeben sind.

(Red./APA)

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