SALZBURGER FESTSPIELE 2021: FOTOPROBE ´DON GIOVANNI´
Salzburger Festspiele

Jubel in Salzburg: Don Giovanni als Jedermanns Bruder

Romeo Castellucci liefert zum Festspieljubiläum mit enormem Aufwand ein säkulares Mysterienspiel der Rätsel und Assoziationen rund um eine zerstörerische, aber ewige Naturkraft, ein Pendant zum „Jedermann“. Teodor Currentzis begeistert seine Fans mit unausgesetzten Explosionen und Extremen. Nach über vier Stunden: Jubel im Großen Festspielhaus.

Die Prognose scheint mir nicht gewagt und ist auch wertungsfrei gemeint: Analog zu Patrice Chereaus „Jahrhundert-,Ring'" 1976 in Bayreuth wird man auch in Salzburg angesichts dieser Neuproduktion bald vom „Jahrhundert-,Giovanni'" sprechen, an dieser Wegmarke die Zeit in ein Davor und ein Danach einteilen – und irgendwann vergessen, dass das ursprünglich gar nicht als exorbitantes Lob gedacht war, sondern einfach als Definition des Zeitpunkts, nämlich der Zentenarfeier der Festspiele hier wie dort. Dabei dürfte klar sein, dass vor allem Romeo Castellucci mit seiner Inszenierung höherer Ordnung keinen tauglichen Anfang für eine mehrheitliche Erzählweise der Oper der Zukunft liefert, sondern eher einen End-, zumindest einen Extrempunkt. Aber solche Grenzwerte des Ausdrucks auszuloten zählt ja gerade zu den Aufgaben der Kunst.

Die vorangestellte stumme Szene vor dem ersten d-Moll-Akkord der Ouvertüre, der dann im expressiven Überdruck des „musicAeterna Orchestra“ mit geradezu dissonanter Gewalt explodiert, weist in doppelter Hinsicht den Weg. Aus einem weiß getünchten Sakralraum über die ganze Breite der Bühne im Großen Festspielhaus werden die Kunstschätze abgeholt. Sachverständige schieben Sitzbänke hinaus, verpacken den Tabernakel, hängen Altarbilder ab und vor allem das zentrale Kruzifix – eine säkulare Kreuzabnahme. Klar, um den „bestraften Wüstling“, um Gottes Gebote und die angesichts der Sünden drohende Hölle wird es hier nicht gehen, Castelluccis faustischer Giovanni setzt sich über dieses System hinweg – um dann dennoch, so die Schlusspointe, in genau diesem leeren Raum, vor nicht vorhandenem Kreuz und unsichtbarem Komtur, nackt, konvulsivisch zuckend und immer mehr mit weißer Farbe beschmiert, zugrunde zu gehen. Das existentielle Sperma-, Muttermilch- oder Leichenweiß ist ein Leitmotiv des Abends, über die Kostüme, vor allem aber einen alles diffus machenden Portalschleier und wehende Vorhänge.

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