Hat die islamisch-konservative Ennahda-Partei Geld aus dem Ausland für Wahlkämpfe erhalten? Seit Präsident Saied die Regierung abgesetzt hat, spitzt sich der Machtkampf weiter zu.
Der politische Machtkampf in Tunesien spitzt sich weiter zu: Die tunesische Justiz ermittelt nun gegen die islamisch-konservative Ennahda-Partei sowie die ihr nahestehende Partei Kalb Tounes. Beiden wird vorgeworfen, unter anderem für Wahlkämpfe Geld aus dem Ausland erhalten zu haben, wie ein Gerichtssprecher am Mittwoch mitteilte. Im Falle eines Schuldspruchs könnten demnach Gelder der Parteien eingefroren und Reiseverbote für ihre Mitglieder verhängt werden.
In Tunesien liefert sich Präsident Kais Saied seit Monaten einen Machtkampf mit der Ennahda. In einem überraschenden Schritt enthob er Sonntagabend Ministerpräsident Hichem Mechichi seines Amtes und setzte die Arbeit des Parlaments vorerst aus - damit schwächte er auch die Position der als moderat geltenden Islamisten. Der Präsident ordnete darüber hinaus die Aufhebung der Immunität aller Abgeordneten an.
Mechichi hatte als Ministerpräsident Rückhalt bei der Ennahda sowie auch bei Kalb Tounes (Herz Tunesiens). Die beiden stärksten Parteien im Parlament liegen wie auch Mechichi mit Präsident Saied über Kreuz. In dem Streit geht es vor allem darum, wie die Macht zwischen Präsident, Regierung und Parlament verteilt werden soll.
Die Ennahda sprach nach den umstrittenen Maßnahmen Saieds am Sonntagabend von einem "Staatsstreich". Der Präsident erklärte dagegen, die von ihm angekündigten Schritte bewegten sich im rechtlichen Rahmen der Verfassung.
Ennahda kündigt „friedliche Kampagne“ an
Die abgesetzte Regierungspartei kündigte unterdessen Widerstand gegen Staatschef Saied an. Die Partei habe beschlossen, "eine friedliche Kampagne zu führen, um die Pläne des Präsidenten zu vereiteln", sagte ein ranghoher Parteifunktionär am Dienstagabend der Nachrichtenagentur AFP in Tunis. Zur Wahrung der Demokratie in Tunesien sei die Partei auch zu Neuwahlen bereit.
Dem Schritt des Präsidenten vorausgegangen waren Proteste gegen das Corona-Krisenmanagement der Regierung in mehreren tunesischen Städten.
Bevor vorgezogene Wahlen stattfinden könnten, müsse "das Parlament seine Arbeit wieder aufnehmen und das Militär seine Kontrolle beenden", sagte Ennahdha-Parteifunktionär Noureddine B'Hiri. Jede Verzögerung werde von Präsident Saied "als Vorwand für die Aufrechterhaltung eines autokratischen Regimes benutzt".
Bei Straßenkämpfen zwischen Anhängern beider politischen Lager am Montag seien "organisierte Randalierer" eingesetzt worden, um "Blutvergießen und Chaos zu provozieren", erklärte die Partei weiter. Sie rief ihre Anhänger auf, "im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit unseres Landes nach Hause zu gehen".
Internationale Sorge um Demokratie
International löst die Krise Sorge um die Demokratie in Tunesien aus, das 2010 Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings war. Die US-Regierung rief Staatschef Saied auf, die "Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte" zu achten. Tunesien dürfe "seine demokratischen Erfolge nicht verschleudern". Auch der Kommissionschef der Afrikanischen Union (AU), Moussa Faki Mahamat, mahnte zu einer "strikten Einhaltung der tunesischen Verfassung".
Ein Jahrzehnt nach dem Arabischen Frühling, der die Herrschaft von Langzeitmachthaber Zine El Abidine Ben Ali in Tunesien beendet hatte, ist das nordafrikanische Land von politischer Instabilität und politischer Fragmentierung geprägt. In zehn Jahren gab es neun verschiedene Regierungen. Manche hielten nur wenige Monate, was Reformen in Wirtschaft und Verwaltung de facto unmöglich machte.
(APA/dpa/AFP)