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"Proxima": Eine Astronautin nabelt sich ab

Eva Green in "Proxima"
Eva Green in "Proxima"(c) Filmladen
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In Alice Winocours Film „Proxima“ will eine Mutter ins All fliegen – und muss sich dafür in einer Männerdomäne durchsetzen. Dennoch geht es hier of sehr poetisch zu.

In der Weltraumstadt Baikonur sind die Teppiche seit den Tagen der Sowjetunion ausgeblichen. Dennoch starten dort noch Sojus-Raketen, die Menschen zuverlässig ins All befördern. Diese müssen lang ausgebildet werden, der Drill ist militärisch hart und auf Männerkörper zugeschnitten. Trotzdem hat Sarah (Eva Green) schon als kleines Mädchen davon geträumt, als Astronautin ins All zu fliegen. Mit Willensstärke, Ehrgeiz und Talent hat sie ihren Weg gemacht. Und wurde schließlich für eine internationale Marsmission auserwählt.

Bis dahin sind es am Anfang von Alice Winocours Film „Proxima – Die Astronautin“ nur wenige Wochen. Für den Raketenstart reist Sarah von Köln über die Star City bei Moskau in die kasachische Steppe. Die Etappen bis zur Abnabelung von der Erde sind für sie auch Stadien der Trennung von ihrer Tochter, Stella, mit der sie in einer symbiotischen Beziehung steht; dass sie das Kind für die Dauer ihrer Mission der Obhut ihres Ex-Partners anvertrauen muss, behagt ihr wenig. Thomas (Lars Eidinger) ist Astrophysiker und nimmt als Theoretiker und Mann im Hintergrund eine Gegenposition zu Sarah ein: Er hat bisher wenig Zeit mit Stella verbracht und mit Erziehung kaum Erfahrung.

Trotz Doppelbelastung in den Kosmos

„Proxima“, gedreht an Originalschauplätzen und unter realen Trainingsbedingungen, gibt einen überzeugenden, fast dokumentarisch anmutenden Einblick in die Vorbereitung einer Weltraummission. Dabei schildert er auch die Schwierigkeit, sich als Frau in der Männerdomäne Raumfahrt durchzusetzen. Obwohl Sarah allen Anforderungen genügt, ist stets ihr möglicher Ersatzmann präsent, der darauf lauert, dass sie ausfallen könnte – und der zu Disziplinierungszwecken an ihrer Stelle in eine Trainingseinheit geschickt wird, als sie nach einem Telefonat mit Stella zu spät zur Übung erscheint.

Regisseurin Winocour verbindet den Abschied von der Erde geschickt mit allgemeineren Themen, ohne das Parabelhafte dominieren zu lassen. Stilistisch erinnert das eher an die traumartige Filmsprache Andrei Tarkowskis („Solaris“) als an Hollywood-Weltraumepen. Wie beim russischen Filmvisionär dienen die Science-Fiction-Elemente hier als Mittel für Reflexion über das Wesen des Menschen: Die Unendlichkeit des Kosmos wird zur Projektionsfläche für die Fragilität emotionaler Bindungen, deren lebenserhaltender Kern von Galaxien der Einsamkeit umgeben ist. Als Sarah die Erde verlässt, löst sich auch Stella von ihrem Mutterschiff.

Das mit Matt Dillon und Sandra Hüller auch über die Hauptfiguren hinaus hochkarätig besetzte Drama wartet wiederholt mit nuancierten Wendungen auf; die aus Hunderten Bewerberinnen gecastete Kinderdarstellerin Zélie Boulant Lemesle steht den internationalen Stars in der Rolle Stellas nicht nach. Vor allem aber beeindrucken Kamera und Regie mit naheliegenden, aber großartigen Bildern, die äußere und innere Kämpfe versinnbildlichen.

Ähnlich wie unlängst Claire Denis' Weltraum-Versuchsanordnungen in „High Life“ (2018) collagiert „Proxima“ Menschen und Landschaften, Mythologisches und Alltägliches zu einem offenen Ganzen, das Anschlüsse in viele Richtungen ermöglicht. Und sich nicht zuletzt dank beeindruckender Aufnahmen des Raketenstarts oder einer Busfahrt zwischen Wildpferden tief und fest in den Köpfen der Betrachter eingräbt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2021)

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