Leitartikel

Man kann und muss den ORF nicht entpolitisieren

Clemens Fabry
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In einem öffentlich-rechtlichen Sender streben naturgemäß Parteien nach Einfluss. Dagegen helfen dezentrale Strukturen – und journalistischer Stolz.

Man ist nicht oft in Versuchung, FPÖ-Chef Herbert Kickl zuzustimmen, aber diesmal hat er recht (und spricht, auch das eine Seltenheit, fast unisono mit Armin Wolf): Der Stiftungsrat des ORF sollte den Generaldirektor in geheimer, nicht in offener Abstimmung wählen. Erstens ist das demokratischer Standard. Zweitens könnte es eine schlichte Polit-Mechanik erschüttern: Eine Mehrheit im Stiftungsrat ist der ÖVP zuzurechnen, also könnte der Bundeskanzler den ORF-General genauso gut gleich direkt bestellen.

Das wäre natürlich auch denkbar, bei der „Wiener Zeitung“ etwa bestellt der Kanzler den Chefredakteur. Nur: Die „Wiener Zeitung“ ist ein Anachronismus, in kaum einer anderen Demokratie gibt es ein staatliches Blatt. Ein solches ist offensichtlich nicht nötig für die Vielfalt der Zeitungslandschaft. Beim Fernsehen dagegen hat sich das duale System bewährt, in dem öffentlich-rechtliche und private Sender nebeneinander existieren. Für dieses spricht vor allem das, was man in Österreich den Bildungsauftrag des ORF nennt: Dieser soll nicht primär seinen eigenen geschäftlichen Zielen dienen, sondern einem gesamtgesellschaftlichen Interesse.


Was soll das sein? Wie soll das aussehen? Das sind auch politische Fragen. Darum ist die seit vielen Jahrzehnten erhobene Forderung nach „Entpolitisierung“ des ORF so pathetisch wie weltfremd. Fast genauso weltfremd ist es zu deklarieren, dass die politischen Parteien im ORF nichts zu suchen hätten. In einer parlamentarischen Demokratie wie Österreich organisieren sich Menschen, die an öffentlichen Angelegenheiten – also an Politik – interessiert sind, in Parteien. Das mag nicht perfekt sein, doch Alternativen haben kaum je überzeugt, man denke nur an das Team Stronach oder die Liste Pilz.

Unsere Parteien sind zum Glück weniger starr als in totalitären Systemen, in ihnen wetteifern Lager, streiten Interessensgruppen. Auch das hält die Demokratie lebendig. Diese Vielfalt sollte sich im ORF-Stiftungsrat abzeichnen. Immerhin sind durchaus nicht alle Rätinnen und Räte, die einer Partei zugeordnet werden, direkt von dieser entsandt. So sitzen im Stiftungsrat derzeit zwei Vertreter der Tourismusbranche, Norbert Kettner ist SPÖ-nahe und von der Stadt Wien entsandt, Petra Stolba wird zum ÖVP-„Freundeskreis“ gezählt und kommt aus dem Publikumsrat. Haben die beiden nicht gemeinsame Anliegen? Könnten solche Interessen nicht die Parteilinie aufweichen?

Natürlich, bei der Wahl geht es auch um schlichte parteipolitische Begierden. Via Auswahl der Chefredakteure kann der Generaldirektor etwa beeinflussen, wie die Parteien in den Nachrichtensendungen behandelt werden. Er kann es zumindest versuchen: Man sollte den Stolz und das Berufsethos von Journalisten nicht unterschätzen; sie wehren sich, wenn man sie gängeln will. Und sie wissen, wie man sich wehrt, weil sie wissen, wie man mit Öffentlichkeit umgeht.

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