Interview

Sommer der Extreme: „Wir müssen umdenken, Städte umbauen“

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Kerstin Krellenberg, Professorin für Urban Studies, über Lehren aus einem extremen Sommer, über das, was in Aspern nicht funktioniert und, warum man bei der Planung nachhaltiger Städte auf Kinder hören sollte.

Wir erleben einen Sommer der Extremwetter in erschreckender Frequenz. Was bedeutet das für Städte? Was muss passieren, um Städte klimasicher zu gestalten?

Kerstin Krellenberg: Ja, diese Extreme werden nachweislich mit hoher Wahrscheinlichkeit immer häufiger auftreten. Dadurch haben wir nicht nur in Städten große Herausforderungen, sondern etwa auch in der Landwirtschaft. Starkregenereignisse können zu erheblichen Störungen und zur Zerstörung von Infrastrukturen und Gebäuden, aber auch zu Verletzten, Vermissten und sogar zu Toten führen. Darauf müssen wir uns einstellen. In Städten akkumulieren sich die Auswirkungen, daher müssen gerade dort umfassende Anpassungsmaßnahmen getroffen werden. Die Art der Bebauung, die Flächennutzung ist ein Grund, dass die Folgen so gravierend sind. Es gibt immer weniger Freiflächen, die Versiegelung ist hoch, dadurch heizen sich städtische Räume auf, Wasser fließt oberflächlich ab, das fördert die Intensität von Überschwemmungen. Aber die Verantwortung liegt nicht allein bei den Städten. Flüsse wurden begradigt, Auen zu landwirtschaftlichen Flächen und stehen nicht mehr als Überschwemmungsgebiet zur Verfügung, Böden sind durch die Landwirtschaft oft so verdichtet, dass die Wasserspeicherfähigkeit nur bedingt gegeben ist. Diese Probleme sind weitgreifend.

Wie sollte man nun darauf reagieren?

Wir müssen Flüssen wieder mehr Raum geben und in Städten selbst aktiv werden, um sie klimasicher zu machen. Wir haben in einem Team von Wissenschaftlern fünf Prinzipien aufgestellt: Dabei geht es um verbesserte Frühwarnsysteme zum Schutz der Bevölkerung, um Schwammfähigkeit und gesteigerte Speicherfähigkeit zum Rückhalt von Wasser in der Landschaft und um Klimaprüfung kritischer Infrastruktur bei Sanierung, Neubau oder Wiederaufbau. Ein Prinzip ist auch die Förderung klimasicherer Gebäude, das kann auch wesentlich zur Abkühlung beitragen. Und, als fünftes Prinzip ist Gestaltungs- und Durchsetzungswille ebenso notwendig wie Kooperation – aufseiten von Städten, Gemeinden, Investoren oder Privaten. Wir müssen alle umdenken, Städte umbauen, anders strukturieren. Wir sind alle Teil des Problems, aber können auch alle zur Lösung beitragen.

Sie sprechen große Veränderung an, tatsächlich hat man in Städten, wenn es um Anpassung an den Klimawandel geht, den Eindruck, es geht um Kleinteiliges, das Mikroklima, den einen oder anderen Baum, Sprühnebel. Muss man größer denken?

Man braucht beides. Wir brauchen gerade in den Städten radikalere Veränderungen. Die Extreme werden zunehmen, daher müssen wir unser Verhalten ändern, etwa das Auto öfter stehen lassen, um Emissionen zu vermeiden. Wir müssen bereit sein, in Gebäude zu investieren. Grüne Dächer zum Beispiel haben einen extremen Effekt auf die Isolationswirkung. Auch das, was Sie als kleinräumige und mittelfristige Lösungen ansprechen, müssen wir tun, aber es wird nicht reichen. Wir müssen weiterdenken, bedenken, dass Fläche kostbar ist. Multifunktionale Nutzung von Fläche ist etwas, das wir noch besser verstehen und umsetzen müssen.

Was verstehen Sie darunter? Eine Verkehrsfläche kann schwer zugleich Grünraum sein.

Ja, wobei sich das eben auch nicht ausschließt. Wenn wir Verkehrsströme anders leiten, ein Verkehrssystem hätten, das nicht prinzipiell auf den Autoverkehr ausgelegt ist, sondern auf den öffentlichen Nahverkehr, auf Radwege, auf Fußwege, hätten wir die Möglichkeit, Flächen umzunutzen, dann würden wir weniger Versiegelung brauchen. Wir könnten die Strukturen in der Stadt verändern, über Rückbau nachdenken, brauchten weniger Parkplätze. Der Ansatz ist, das Ganze neu zu denken, nicht kleinräumig, das System Stadt und dessen nachhaltige Entwicklung stärker in den Blick zu nehmen.

Zugleich steigt der Nutzungsdruck, die Sogwirkung der Städte ist groß. Was heißt es für die nachhaltige Entwicklung der Städte, wenn hier immer mehr Menschen leben?

Die Weltbevölkerung wächst weiter, die Stadt wird weiter attraktiv sein. Das Angebot an Arbeitsplätzen, Beschäftigung, an Wohnraum, Kultur, wird Menschen weiter in Städte hineinziehen, das stellt die Stadtentwicklung vor Herausforderungen. Wo werden wir in den nächsten Jahrzehnten die höchsten Urbanisierungsraten sehen? Da schauen wir vor allem nach Afrika, Asien, da haben wir auch andere Potenziale, da kann man Fehler vermeiden, schauen, wie kann man intelligent Neubau bestreiten? Aber wir haben auch im Bestand in Europa Möglichkeiten. Ich würde Urbanisierung nicht nur als Problem sehen, sondern auch als eine Chance. Nachhaltige Verkehrskonzepte können zum Beispiel besonders gut in dicht besiedelten Gebieten funktionieren.

Was wird auf lange Sicht nachhaltiger sein, das Leben auf dem Land oder in der Stadt?

Das kann man nicht generell sagen, aber prinzipiell ist der Flächenverbrauch pro Person in Städten geringer. Wo man nachhaltiger lebt, hängt von vielem ab, von Bauweisen, der Art der Energieversorgung, den Möglichkeiten, Kreislaufwirtschaft oder Sharing-Ansätze umzusetzen, damit wir Wege minimieren und dadurch Ressourcen einsparen. Es hängt aber auch an der Einstellung der Menschen. Wenn jemand Subsistenzwirtschaft betreibt, sagt, er hat auf dem Land alles, was er braucht, arbeitet auch dort, dann kann man sehr nachhaltig leben. Aber die Chance, das umzusetzen, haben viele nicht. Und es gibt viele, die wollen das auch nicht. Die möchten im Grünen wohnen, aber die Angebote einer Stadt weiter nutzen.

Kann die Hitzeentwicklung in Städten auch einen gewissen Gegentrend zur Urbanisierung auslösen? Eine Flucht aufs Land?

In der Tat lässt sich beobachten, dass es gewisse Trends gibt, dass es Menschen wieder aufs Land zieht. Dort kann man in der Regel großzügiger bauen, es gibt mehr Grün. Aber was geht damit einher? Mehr Zersiedelung, mehr Inanspruchnahme von Flächen. Suburbanisierung stellt also keine Alternative zur kompakten Stadt dar. Arbeiten wird, auch wenn die Digitalisierung da neue Chancen bietet, vielfach weiter in der Stadt sein, dann kommt das Problem des Pendelns, man braucht neue Verkehrswege, Anbindungen, das bedeutet wieder einen Eingriff in die Natur.

Wir haben in Wien, Stichwort Lobau-Tunnel, gerade eine intensive Debatte: Stadterweiterung, die Notwendigkeit, neue Viertel ans Zentrum anzubinden, versus Natur- und Klimaschutz. Lässt sich das lösen?

Es geht darum, kompakt zu bauen und Städte kompakt zu erhalten. Wenn man die Möglichkeit hat, eher in die Höhe zu bauen, trotzdem Grünflächen und Frischluftschneisen zu erhalten. Aber wenn man sieht, wie stark Städte an Bevölkerung zunehmen, lässt es sich nicht vermeiden, dass auch neue Stadtgebiete entstehen. Umwelt- und Klimaschutz muss von Beginn an Teil einer nachhaltigen Quartiersentwicklung sein. Wie man das hinbringt? Da bieten neue Stadtgebiete die Chance, dass gute Anbindung eben nicht Ausbau von Straßen, sondern vor allem Nutzung und Ausbau von öffentlichem Nahverkehr heißt, dass Sharingangebote bestehen, man multifunktionale Flächen mitdenkt, überlegt, wie kann man ressourcenschonend und klimasicher bauen? Dass solche Quartiere nicht losgelöst sind, die Zersiedlung weiter vorantreiben und nur als Schlafstätten dienen. Das ist eine große Herausforderung.

Warum ist es so schwierig, neue Stadtteile zu bauen? Man hatte ja etwa bei der Seestadt Aspern lang den Eindruck, alles das war Thema, kurze Wege, keine Schlafstadt, Arbeitsplätze vor Ort, gute U-Bahn-Anbindung ins Zentrum usw. Jetzt geht es plötzlich darum, dass die Menschen dort unbedingt eine Autobahnanbindung brauchen.

Es ist immer noch unglaublich schwierig, die Anforderungen im Vorfeld wirklich zu verstehen. Wenn Sie in die Seestadt fahren, wer lebt dort? Vor allem junge Menschen mit und ohne Kindern, die den See als Attraktivität haben. Sonst, wenn Sie durch die Straßen gehen, haben Sie große Flächen, die ja doch zum großen Teil versiegelt und ungenutzt sind. Die Erdgeschoße sind längst nicht alle belebt, das Angebot ist noch nicht da. Und wo arbeiten die Menschen? Weiter in der Donaustadt und Floridsdorf und Bezirken südlich der Donau und in Niederösterreich. So kann ich nicht vermeiden, dass die Leute pendeln, letztendlich zwar zufrieden sind, weil sie sich anders als im innerstädtischen Bereich vielleicht eine größere Wohnung mit Balkon leisten können. Aber sie haben trotzdem weiter die Effekte wie lokale Aufheizung durch versiegelte Flächen, eine hohe Mobilität und dass das Angebot nicht dem entspricht, was die Menschen sich vielleicht wünschen. Da muss man noch mehr ins Gespräch kommen, trotz Bürgerbeteiligung ist es am Ende oft eine Top-down Planung.

Brauchen solche Viertel einfach auch mehr Zeit? Ist es zu früh zur Beurteilung?

Natürlich ist es jetzt zu verfrüht zu sagen, das Ganze ist gescheitert oder man hat nicht erreicht, was man erreichen möchte. Aber umso mehr Potenzial bietet sich jetzt zu analysieren und zu schauen, was kann man für die nächsten Bauabschnitte lernen. Hier denkt man zu sehr in Masterplänen, es ist auch eine Frage von Ressourcen, aber es brauchte mehr Flexibilität, statt zu sagen, wir machen einfach so weiter. Was passiert denn, wenn vielleicht die Unzufriedenheit wächst? Und Leute wegziehen? Dann werden vielleicht ganz andere soziale Gruppen dorthin ziehen. Was hat das für Konsequenzen? Ich würde nicht abwarten und zusehen, wie es sich entwickelt, sondern die Chance nutzen und aus Aspekten lernen, die unterschätzt wurden.

Wie sieht denn Ihre Vision von einer klimasicheren, einer nachhaltigen Stadt aus? Wie kann man sich das Leben dort vorstellen?

Die eine klimasichere, nachhaltige Stadt wird es nicht geben, alle Städte werden ihre Lösungen suchen müssen und können da sicher voneinander lernen. Stichwort Lernen: Wir haben vor kurzem im Rahmen der Kinderuni an der Uni Wien mit Kindern und Jugendlichen über den Klimawandel und über die Stadt der Zukunft gesprochen. Es war toll zu sehen, wie viel diese Kinder bereits wussten, sogar die Sieben- bis Elfjährigen waren schon sehr fit. Wenn es nach den Kindern geht, die da dabei waren, wäre ihre Stadt der Zukunft grün und müll- und autofrei. Das waren die Schlagworte, die die Kinder genannt haben. Ich glaube, das ist eine Vision, die uns alle antreiben sollte, dann sind wir ein Stück weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2021)

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