Wort der Woche

Sand – wie Sand am Meer

Dünen im Abendlicht mit Blick auf den Kniepsand und das Meer, Deutschland, Schleswig-Holstein, Nordfriesland, Amrum dun
Dünen im Abendlicht mit Blick auf den Kniepsand und das Meer, Deutschland, Schleswig-Holstein, Nordfriesland, Amrum dun(c) imago images/blickwinkel (S. Ziese via www.imago-images.de)
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Viele Sandstrände sind alles andere als „Natur pur“ – vielmehr müssen immer mehr Strände künstlich mit Sand und Kies aufgefüllt werden.

Sandstrände sind für viele Zeitgenossen der Inbegriff von Urlaub. Doch dass man seine freien Tage tatsächlich an solch wunderbaren Küstenstreifen verbringen kann, ist nicht selbstverständlich – denn eine immer größere Zahl von Stränden existiert nur mehr deshalb, weil der Mensch massiv nachhilft.

Natürlicherweise besteht an flachen Küsten ein Gleichgewicht zwischen der Anspülung von Sedimenten (die durch Flüsse ins Meer gelangen) und der Erosion. Menschliche Eingriffe wie etwa der Bau von Dämmen und Uferbefestigungen sowie die Folgen des Klimawandels (steigender Meeresspiegels, häufigere und heftigere Stürme und Unwetter) haben dieses Gleichgewicht gestört: Laut Schätzungen von Forschern des Joint Research Centers der EU könnte in diesem Jahrhundert weltweit mehr als die Hälfte aller Sandstrände verschwinden.

Das „Gegenmittel“ nennt sich „beach nourishment“. Erstmals 1922 in Coney Island (New York) praktiziert, werden heute viele Strände im Dienste von Küstenschutz und Tourismus, vielfach unbemerkt von der Öffentlichkeit, regelmäßig mit Sand wiederaufgefüllt. So z. B. die angeblichen „Traumstrände“ in Florida, wie der US-Journalist Vince Beiser in seiner Stoffgeschichte „Sand“ (315 Seiten, oekom, 26,90 Euro) ausführt. Auch die berühmten Strände um Nizza, auf Mallorca oder an der australischen Gold Coast wären ohne die aufgeschütteten Hunderttausenden Kubikmeter Sand und Kies viel kleiner oder sogar bereits verschwunden.

Ja, noch mehr: Immer häufiger werden künstliche Strände angelegt – etwa in Hongkong, Barcelona, Singapur oder sogar auf Hawaii. Dass diese nur durch ständige weitere Interventionen „am Leben“ erhalten werden können, ist wenig überraschend. Und das kostet: Allein in den USA wurden laut der Investigativ-Plattform ProPublica bisher neun Mrd. Dollar für „beach nourishment“ aufgewendet.

Man könnte nun achselzuckend meinen: Sand gibt es eh „wie Sand am Meer“ – sollen sie ihn doch mit Saugschiffen vom Meeresboden heraufpumpen, mit Lkw herankarren und mit Baggern verteilen. Doch das stimmt nicht: Sand wird aufgrund der zunehmenden Bautätigkeit (für die feiner Wüstensand unbrauchbar ist) immer knapper und kostbarer. Laut einer Forschergruppe um Walter Leal Filho (HAW Hamburg) mit Beteiligung des Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg wird weltweit mehr Sand abgebaut (jährlich rund 50 Mrd. Tonnen; zehnmal mehr als Erdöl), als sich durch natürliche Erosionsprozesse wieder nachbildet (Sustainability, 2021, 13, 3356).


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com
www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2021)

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