Tanzkritik

Tanz im Wald unter Bären im Volkstheater

Sehr beeindruckend: die Gruppe Ultima Vez des belgischen Choreografen Wm Vandekeybus.
Sehr beeindruckend: die Gruppe Ultima Vez des belgischen Choreografen Wm Vandekeybus.Impulstanz/Danny Willems
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Tanz die Zivilisation! „Traces“ von Wim Vandekeybus mit seiner Gruppe beim Festival ImPulsTanz.

Ein bis drei Bären auf der Bühne, so gewaltig, dass die Tänzerinnen und Tänzer dagegen klein und zerbrechlich wirken – auch wenn die Tiere nicht echt waren, schien die Situation eine Deutung vorzugeben: Hier zeigt die Natur ihre Zähne und Klauen, hier haben es die Menschen schwer, sie zu bändigen, sich in Sicherheit zu bringen. Tatsächlich war der erste menschliche Laut, den man hörte, ein hysterischer Schrei, und das Schnüffeln des Bären wirkte bedrohlich . . .

Wer sich aber davor das Programmheft durchgelesen hatte, hatte eine andere Interpretation im Kopf: „In meinen Augen repräsentiert der Bär etwas, was wir verloren haben“, sagt Autor und Regisseur Wim Vandekeybus – und beklagt die „Aneignung“ des Waldes. Inspiriert hätten ihn eine Reise durch Rumänien und die dort lebenden Roma, für die er einen merkwürdigen Vergleich findet: „Wir sollten die Roma wertschätzen – genauso wie die Bären –, denn sie repräsentieren einen Teil unserer Welt, der trotz aller ,Zivilisation‘ in Vergessenheit geraten ist.“

Lager aus Reifen und Lumpen

Die von Vandekeybus unter Anführungszeichen gesetzte Zivilisation wird durch Autoreifen symbolisiert, die im Wald liegen. Irgendwann rollen die Menschen sie über die Bühne, dann bauen sie sich ein armseliges Lager aus Reifen und Lumpen. Eine Frau spielt einem Bären auf der Geige vor, er beginnt zu tanzen, offensichtlich freudig. Lang davor hat eine andere Tänzerin einen Bären zur Brust genommen, etwas später hat eine dritte einen kleinen Stoffbären quasi geboren und ins Publikum geworfen, worauf ihre Kollegen ihre Arme mit weißer Farben bemalt haben. Oft wird sehr heftig getanzt, wie in einem archaischen Ritual, bisweilen geht der Tanz ins Kriegerische über, wird von rauen Rufen begleitet. Und vom harschen, von Dissonanz zu Dissonanz drängenden Rockjazz des Gitarristen Marc Ribot, manchmal kombiniert mit dem seelenvollen, leicht esoterisch anmutenden Gesang Trixie Whitleys. Soll sie die Harmonie in der Natur darstellen und er die Gefahr? Warum müssen immer wieder Tänzer die Bühne putzen? Wieso landen manche auf dem Krankenbett? Und wie ist der kleine Teddybär zurück auf die Bühne gekommen? Fragen über Fragen, nach einem – tänzerisch höchst beeindruckenden – Abend, bei dem nicht nur Kultur und Natur aufeinanderprallten, sondern auch die Interpretationsmuster in Kopf. Spannend.

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