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Skepsis gegenüber Abbau von Schulden durch Wachstum

Klaus Schweinsberg bei seiner Keynote vor dem Wirtschaftspanel.
Klaus Schweinsberg bei seiner Keynote vor dem Wirtschaftspanel. (c) Guenther Peroutka
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Keynote. Klaus Schweinsberg, Gründer und Professor am ESCP Paris, stellte vor der Podiumsdiskussion der europäischen Wirtschaft ein wenig positives Zeugnis aus.

Laut Klaus Schweinsberg erleben wir im Moment historische Zeiten mit „tektonischen Verschiebungen innerhalb der EU“. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind zwar groß, die Risiken allerdings beträchtlich. Schweinsberg stellte in seinem Vortrag die These auf, dass das zweite Jahrzehnt in den vergangenen Jahrhunderten immer entscheidende Veränderungen brachte: 1914 durch den Beginn des Ersten Weltkriegs als Staats-, Markt- und Moralversagen. 1815 war der Wiener Kongress ein Konsolidierungsprogramm für 300 unabhängige Einheiten, was zur Bildung von 30 Staaten führte. 1713 ging Großbritannien beim Vertrag von Utrecht als großer Gewinner aufgrund seiner Unabhängigkeitsrolle hervor. 300 Jahre später hat sich dieser autonome Weg durch den Brexit wiederholt.

2021 ist Europa wieder an einem Punkt angelangt, an dem sich alles ändert. Corona zeigt eine gewisse Ohnmacht Europas im Verhältnis zu China und zu den USA. „In der Fiskalpolitik werden Interessensgegensätze ausmanövriert, weil der Geldhahn aufgedreht wird“, bemängelt Schweinsberg. „Die Schuldenpolitik wurde durch die Coronakrise beschleunigt. Mittlerweile belaufen sich die Schulden innerhalb der EU auf mindestens 100 Prozent des BIP, mit extremen Spitzenwerten von 200 Prozent für Griechenland und 150 Prozent für Italien.“

Rückkehr zur Austerität?

Für den Ökonomen stellt sich die Frage, wie es weitergehen wird: Mit einer Politik des billigen Geldes oder mit einer Rückkehr zur Austerität? Schweinsberg tendiert zu Ersterem und begründet dies: „Erstens nehmen die Fliehkräfte innerhalb der EU zu; Schulden wird man brauchen, um diese Konflikte zu befrieden. Zweitens hat es durch den Brexit eine Gewichtsverschiebung in der Austeritätspolitik gegeben: Es existiert keine Achse der Sparpolitiker mehr. Und drittens steht die Bundestagswahl in Deutschland vor der Tür. Dort agiert die Politik nicht mehr gar so restriktiv wie unter Wolfgang Schäuble.“

Das Hauptrezept, um aus der Verschuldungssituation wieder herauszukommen, wäre Wirtschaftswachstum oder eine Währungsreform. Letztere sieht Schweinsberg aber nicht auf die EU zukommen. Trotzdem ist die wirtschaftliche Zukunft der EU eher ungewiss, was der deutsche Wirtschaftsprofessor anhand vier konkreter Beispiele untermauerte:

A wie Automobilindustrie: Deren Entwicklung ist entscheidend für Europa. Obwohl Daimler kürzlich ein Rekordquartal verbuchen konnte, stammt der Gewinn zu fast 100 Prozent aus dem Chinageschäft. Dieser Markt wird aber wegbrechen, weil die politische Elite in China in Zukunft voller Stolz auf Red-Flag-Limousinen aus dem eigenen Land setzen wird. Außerdem hinkt die europäische Automobilindustrie beim Thema Elektrifizierung hinterher.

B wie Banken: Die amerikanische Bank JP Morgan verdient in fünf Tagen so viel wie die Deutsche Bank in einem Jahr. Im Top-10-Ranking der weltweit wichtigsten Banken sind nur mehr zwei europäische Banken vertreten. Es ist zu befürchten, dass die EU in Zukunft vermehrt Finanzdienstleister aus dem asiatischen oder amerikanischen Raum nutzen wird.

C wie China: Die EU hat keine Strategie im Umgang mit China. Mittlerweile haben 14 europäische Länder gegen den Willen der Europäischen Kommission mit China internationale Verträge abgeschlossen, der Beitrittskandidat Serbien ist sogar komplett abhängig vom Reich der Mitte. Gleichzeitig ringt Brüssel um eine gemeinsame Position gegenüber China. In Deutschland herrscht eine andere Interessenslage in der Wirtschaft als in der Politik, weil China ein lukrativer Absatzmarkt ist und die Betriebe Teil einer weltweiten Lieferkette sind. Deshalb besteht kein Interesse an einer politischen Verhärtung.

D wie Digitalisierung: Wettbewerbsfähigkeit, die es für Wirtschaftswachstum erfordert, wird heute vor allem aus Technologieführerschaft generiert. Dafür entscheidend ist Quantum Computing, das sogenannte „Supercomputer“ erfordert. In China gibt es aktuell 170, in Deutschland lediglich 26. Hier wird der Anschluss an die neue Technologie verspielt, auch deshalb weil keine gesamteuropäische Strategie existiert. Auch in der 5G-Mobilfunktechnologie hinkt Europa hinterher.

E wie Eigenkapital der Familienunternehmen: Aufgrund der Coronakrise wurden in Unternehmen innerhalb von 18 Monaten 30 Prozent des vorhandenen Eigenkapitals aufgebraucht.

Schweinsberg ist also skeptisch, dass der Schuldenabbau durch Wachstum gelingen wird und genauso skeptisch, dass staatliche Hilfsgelder an Reformnotwendigkeiten gekoppelt werden.

Mehr Informationen zum Europakongress: www.diepresse.com/europakongress

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