Biologie

Eine große Artenvielfalt macht ein Ökosystem robuster

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Je bunter und verschiedener die in einem Ökosystem vorkommenden Pflanzen und Kleinlebewesen sind, desto besser kann die zur Verfügung stehende Nahrung genutzt werden. Die Biologin Jana Petermann von der Universität Salzburg erforscht solche Nahrungsnetze.

Alles hängt mit allem zusammen. Das gilt auch für die Nahrungsbeziehungen in Ökosystemen. Ein kleiner Käfer, der sich von den Blättern einer Pflanze ernährt, wird von einem größeren Insekt gefressen, das wiederum im Magen eines Igels oder eines Vogels landet. Dazu kommen die Energie der Sonne, Nährstoffe und Mikroorganismen im Boden, die von den Pflanzen für ihr Wachstum gebraucht werden. In einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt wurde erstmals umfassend untersucht, wie die ober- und unterirdischen Nahrungsketten in einem Ökosystem zusammenhängen und welchen Einfluss die Artenvielfalt auf diesen Energiefluss hat.

Dabei wurden nicht nur einzelne Ernährungstypen – wie Pflanzen- oder Fleischfresser – betrachtet, sondern die Nahrungsbeziehungen auf allen Ebenen einbezogen. „In jedem Nahrungsnetz fließt Energie in Form von Kohlenhydraten oder Nährstoffen“, erläutert die Biologin Jana Petermann von der Universität Salzburg, sie war eine der Autorinnen der groß angelegten Studie. „Wir haben für die Untersuchung mit den Daten des Jena-Experiments gearbeitet“, erläutert sie. Es handelt sich dabei um eines der größten Biodiversitätsexperimente der Welt. Seit 2002 werden in Jena unter kontrollierten Bedingungen auf 80 Parzellen mit unterschiedlichen Artenzusammensetzungen Daten über verschiedene Ökosystemfunktionen gesammelt. Es gibt genau abgezirkelte Flächen mit großer Vielfalt und solche mit Monokulturen – und alle Abstufungen dazwischen.

Monokulturen sind empfindlicher

Für die aktuelle Studie wurden Modelle für die Nahrungsnetze auf jeder Ebene, den Energiefluss und die Wechselwirkungen erstellt und mit den Daten der unterschiedlichen Parzellen zwischen Vielfalt und Monokultur gespeist. Dabei berücksichtigten die Forscherinnen und Forscher zusätzlich zu den Pflanzen auch Pflanzenfresser, Fleischfresser, Allesfresser, Mikroben, totes organisches Material im Boden und Zersetzer, die sich von abgestorbenem organischem Material ernähren.

„Artenvielfalt macht ein Ökosystem robust“, fasst Petermann das Ergebnis der Untersuchung zusammen. Je mehr Pflanzenarten auf einer Fläche existieren, desto besser kann die Energie des Sonnenlichts genutzt werden. „Jede Art hat ihre eigene Rolle und nutzt bestimmte Nischen. Das macht das System insgesamt effizienter und auch stabiler.“ So können bestimmte Arten mit trockenen Phasen besser umgehen, andere entwickeln sich in feucht-warmen Perioden besser. Wieder andere sind kälteresistenter und werden zudem von bestimmten Schädlingen links liegen gelassen. In Summe führt das dazu, dass es artenreichen Ökosystemen bei sich ändernden Umweltbedingungen leicht gelingt, im Gleichgewicht zu bleiben. Monokulturen sind da hingegen schlecht aufgestellt.

„Wir zeigten, dass es ein Ökosystem instabiler macht, wenn der Artenreichtum abnimmt“, sagt Petermann. Mit sinkender Vielfalt nehmen die unterschiedlichen Funktionen ab, die Systeme werden störungsanfälliger. Gleichzeitig konnte nachgewiesen werden, dass der positive Effekt einer hohen Biodiversität über die Jahre immer stärker wird. Das heißt: Ökosysteme, die mehr Arten haben, werden immer robuster. Das hat einen Grund: „Die Pflanzen passen sich in ihrer Evolution verhältnismäßig schnell an Veränderungen an. So stellen sich die einzelnen Arten einer Pflanzengesellschaft aufeinander ein“, sagt Petermann. Die einen werden höher, die anderen bleiben niedrig, die Blätter passen sich an die Lichtverhältnisse an. „Jede Art hat ihre Bedeutung für das Gesamtsystem“, bringt es die Biologin auf den Punkt. Ein Ökosystem toleriere Artenverlust lang, doch irgendwann gebe es einen Kipppunkt: Das Gesamtsystem gerate aus dem Gleichgewicht und breche zusammen.

Wie diese Systeme funktionieren, schaut sich die Wissenschaftlerin auch in ihrer aktuellen Arbeit an. Sie untersucht die Nahrungsnetze in Kleinstökosystemen, die beispielsweise entstehen, wenn Regenwasser in einem Topf oder einer Baumhöhle stehen bleibt. Petermann interessiert sich dabei dafür, welche Habitate sich entwickeln, welche Nahrungsnetze entstehen und wie sich ein System bei geänderten Bedingungen – wie höheren Temperaturen – verhält.

In Zahlen

50 Prozent höher ist der Energiefluss im Nahrungsnetz bei Parzellen mit 60 Pflanzenarten als bei Monokulturen. Diese Parzellen enthalten auch doppelt so viel Biomasse.

75 Prozent
der Biomasse eines artenreichen Wiesensystems sind in Pflanzen gespeichert, 20 Prozent als totes organisches Material. Als Konsumenten tragen Tiere zu circa 25 Prozent der Energieflüsse im System bei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2021)

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