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McNamaras „Trottel“ und der Wahnsinn der Technokraten

Das Pentagon
Das PentagonAPA/AFP/STAFF
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Kolumne "Hirt on Management": Folge 157. Wieso Hybris und übertriebenes Selbstvertrauen ein Rezept für Katastrophen sind und was die Harvard Business School damit zu tun hat.

Robert McNamara (1916-2009), ein Harvard Business School-MBA, war der erste Präsident des Autoherstellers Ford, der kein Mitglied der Ford-Familie war. Und – etwas unerwarteter – Verteidigungsminister unter zwei amerikanischen Präsidenten, nämlich John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson, von 1961-1968, als der längst dienende Verteidigungsminister in der Geschichte der USA.

In McNamaras Zeit als Verteidigungsminister fiel der massive Ausbau der militärischen Aktivitäten und Truppen der Amerikaner in Vietnam.

Von 16.000 Beratern zu Hundertausenden kämpfenden Truppen

Waren es unter Kennedy nur ca. 16.000 amerikanische „militärische Berater“, die Süd-Vietnam beim Kampf gegen die nordvietnamesischen Kommunisten unterstützen, waren es am Ende der Zeit von McNamara als Verteidigungsminister weit über 500.000 amerikanische Soldaten, die im direkten Kampfeinsatz in Vietnam waren.

Im Endeffekt hatten die Vereinigten Staaten im Vietnamkrieg 58.200 militärische Todesopfer und mehr als 300.000 Verwundete, viele mit Langzeitfolgen. In Vietnam selber, gab es weit mehr als eine Million militärische und zivile Todesopfer und mehr als 1,5 Millionen Verwundete.

Ein technokratisches Wunderkind

McNamara wurde von vielen als „Wunderkind“ bezeichnet und war als Verteidigungsminister ein außergewöhnlich einflussreicher Berater der Präsidenten Kennedy und Johnson, weit über seinen eigentlichen Verantwortungsbereich hinaus.

Eines seiner Markenzeichen war die Anwendung extrem rationaler, mathematischer und systemischer Analysemethoden zur Lösung von Problemen („Systems Analysis“).

Er war damit nur die Speerspitze eines ganzen Heeres von Technokraten, die ausgebildet an amerikanischen Business Schools (Harvard natürlich an der Spitze) und Ingenieurschulen, insbesondere ab dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, amerikanische Unternehmen und Verwaltungen, überschwemmten.

Das Problem der Technokraten

Das Problem der Technokraten ist deren einseitige und undifferenzierte Sichtweise der Welt, also eine sture schwarz-weiss Sicht und eine vollkommen naive und „idealistische“, aber dafür umso von sich selber überzeugte, arrogante und letztendlich rücksichtslose Vorgangsweise, meist gepaart mit einem vollkommen unkritischen Fortschritts- und Technologieglauben.

„Für einen Mann mit einem Hammer sieht alles wie ein Nagel aus“ und für McNamara sah alles wie ein mathematisches Optimierungsproblem aus.

Dabei übersah er, dass die Welt ein komplexer Platz ist, und gute Entscheidungen in dieser Welt aus einer differenzierten Betrachtungsweise heraus entstehen, die mehrere Erklärungsmodelle, auch wenn diese sich möglicherweise (teilweise) widersprechen, nebeneinander bestehen lassen kann, um dann eine reife, in alle Richtungen wohlüberlegte, Entscheidung zu treffen.

Reife Entscheidungen müssen auch immer unsere menschlichen Begrenzungen und Anfälligkeit für Fehler mitdenken und daher wird der weise Entscheider oder die weise Entscheiderin, typischerweise radikale Entscheidungen besonders kritisch betrachten.

Wenn McNamara aber einmal von seiner (einseitigen) Analyse überzeugt war, dann handelte er aber mit letzter Konsequenz und bis zu bitteren Neige.

„McNamaras Trottel“

Hier nur ein Beispiel von vielen: „McNamaras Trottel“ („McNamaras Morons“).

Eines der Probleme mit den schnell ansteigenden Zahlen amerikanischer Soldaten in Vietnam war ganz einfach der Nachschub an Soldaten.

Trotz allgemeiner Wehrpflicht konnten nicht genug Soldaten rekrutiert werden. Das lag an mehreren Faktoren, unter anderem, daran, dass das amerikanische Militär, bereits seit dem ersten Weltkrieg, einer der Pioniere der Anwendung von Intelligenztests bei der Auswahl von Soldaten war, und viele der Rekruten, auf Grundlage der Kriterien des Militärs, schlicht und ergreifend, einfach nicht intelligent genug, für den Militärdienst waren.

Ein weiteres Problem war, dass man der gebildeteren Mittelschicht, die eine überproportionale Rolle im politischen System der USA spielt (viele ungebildetere und ärmere Menschen in den USA wählen nicht bzw. sind nicht mal für Wahlen registriert), nicht einen zu hohen Blutzoll durch den zunehmend unpopulären Vietnamkrieg abfordern wollte, um nicht wichtige Wählergruppen zu vergrämen.

McNamara kam dann auf die „geniale“ Idee, einfach den Intelligenzstandard für den Militärdienst massiv zu senken und plötzlich konnte die Zahl der Soldaten rapide ausgedehnt werden.

Die Generäle und anderen Offiziere, die McNamara sowieso schon wegen seiner Arroganz hassten, waren vollkommen entrüstet, denn ihnen war als Praktiker klar, dass diese neuen Rekruten nur für sehr eingegrenzte Dienste in der Etappe geeignet waren, aber nicht für den extremen Stress und die hochgefährliche Umgebung der Kampfeinsätze an der Front.

McNamara blieb stur

McNamara ließ sich aber nicht abbringen, das Projekt bekam den klingenden Namen „Project 100.000“ und 354.000 zusätzliche Männer wurden von 1966 an, für das amerikanische Militär rekrutiert und in den aktiven Dienst in Vietnam gestellt.

Aufgrund der enormen Zahlen der neuen Rekruten aus „Project 100.000“ und der entsprechenden Befehle von „ganz oben“, also McNamara, wurde ein Großteil dieser Männer der kämpfenden Truppe an der Front zugeteilt.

Viele der Frontkommandeure erkannten, dass diese Rekruten, in der Zwischenzeit verächtlich „McNamaras Morons“ („McNamaras Trottel“) genannt, eine Gefährdung für sich und ihre Kameraden waren. Sie versuchten daher, die Versetzung der Männer aus „Project 100.000“ in die Etappe zu erreichen, was aber kaum genehmigt wurde.

Eine der wesentlichen Begründungen für das Vorgehen von McNamara war sein absoluter, technokratischer und technologiehöriger Fortschrittsglaube. Er war davon überzeugt, dass mit den neuen Unterrichtsmethoden und -technologien, insbesondere den damals aufkommenden Videounterrichtseinheiten, der Intelligenzquotient (IQ) seiner „Project 100.000“-Rekruten entscheidend angehoben werden könne.

Zwei wichtige Punkte übersehen

Er übersah dabei, einen wissenschaftlichen und einen praktischen Punkt.

  • Der wissenschaftliche Punkt ist, dass es bis heute, umstritten ist, in welchem Umfang und durch welche Maßnahmen man den IQ von Menschen anheben kann.
  • Der praktische Punkt, den McNamara übersah, war dass, man in einem Krieg, insbesondere an der Front, keine Zeit und keine Möglichkeit für umfangreiche, individualisierte und tiefgreifende Schulungsmaßnahmen, hat.

Das traurige Ergebnis

Das Ergebnis waren nicht nur zahlreiche Zwischenfälle mit Toten und Verletzten, die alle vermeidbar gewesen wären, die Anzahl der Todesopfer und Verwundeten unter den Männern aus „Project 100.000“ war auch dramatisch höher, als die der anderen amerikanischen Soldaten in Vietnam.

Das Wichtigste in Kürze

Die Welt ist ein komplexer Platz und gute Entscheidungen in dieser Welt entstehen aus einer differenzierten Betrachtungsweise, die mehrere Erklärungsmodelle („Denkmodelle“), auch wenn diese sich möglicherweise (teilweise) widersprechen, nebeneinander bestehen lassen kann, um dann eine reife, in alle Richtungen wohlüberlegte, Entscheidung zu treffen.

In der nächsten Kolumne beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Denkmodelle Ihnen helfen können McNamara’s Fehler zu vermeiden.

Schicken Sie Ihre Fragen an Michael Hirt an: karrierenews@diepresse.com

Die Fragen werden anonymisiert beantwortet.

Ausblick: Die nächste Kolumne von Michael Hirt erscheint am 26. August zum Thema „Wichtige Denkmodelle für Manager und Managerinnen“.

Hier finden Sie die gesammelten Kolumnen.

Michael Hirt ist Managementexperte und -berater, Executive Coach, Keynote Speaker und Buchautor. Hirt verhilft Führungskräften zu außergewöhnlichen Leistungs- und Ergebnissteigerungen, mit hoher Auswirkung auf den Erfolg ihres Unternehmens. Er studierte in Österreich, den USA (Harvard LPSF) und Frankreich (INSEAD MBA) und ist weltweit tätig.

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