Der ökonomische Blick

Selbständige in Österreich: Wachsende Bedeutung und ausgeprägte Wissenslücken

Selbstständige sind eine sehr heterogene Gruppe, ihre Zahl nimmt zu.
Selbstständige sind eine sehr heterogene Gruppe, ihre Zahl nimmt zu.PA Images via Getty Images
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Schon vor der Coronakrise war die Selbstständige Erwerbstätigkeit in Österreich aus empirischer Sicht ein scheues Reh. Was wir derzeit über diese immer wichtiger werdende Gruppe wissen.

Selbständige Erwerbstätigkeit gewinnt in Österreich an Bedeutung. Aus empirischer Sicht ist sie ein scheues Reh da es – schon vor der Corona-Krise – wenig Befunde zu den Arbeits- und Einkommensbedingungen gab. Diese Blackbox vergrößerte sich noch durch die pandemiebedingten Betriebsunterbrechungen und das Wirken der Hilfsmaßnahmen für Selbständige (Härtefallfonds, Fixkostenzuschuss etc.), deren abschließende Beurteilung frühestens 2022 möglich sein wird.

Die nachfolgenden Vor-Corona-Tatbestände im Zusammenhang mit selbständiger Erwerbstätigkeit zeigen einige Besonderheiten, die bislang im Diskurs wenig Berücksichtigung finden.

Die Gruppe der hauptberuflich Selbständigen umfasst von der Urproduktion (Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Jagd, Fischerei) über Gewerbetreibende, freiberufliche Tätigkeiten bis hin zu den Solo-Selbständigen (in der Wirtschaftskammer als "Ein-Personen-Unternehmen" bzw. EPU geführt) eine sehr heterogene Gruppe mit sehr unterschiedlichen Arbeits- und Einkommensbedingungen. Die Zahl selbständig Erwerbstätiger nimmt zu: Allein seit 2008 stieg die Zahl der hauptberuflich Selbständigen jährlich um +1,3% während jene der Unselbständigen um +0,8% p.a. zulegte. Diese Beschäftigungszunahme bei den Selbständigen ist von der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit (+2,3%; Männer +0,7% p.a.), und hier wiederrum von Frauen ohne österreichische Staatsbürger*innenschaft (überwiegend Pflegerinnen) getragen.Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Eine einheitliche Definition selbständig Erwerbstätiger gibt es nicht. Im Jahr 2017 hatten gemäß Mikrozensus 790.000 Personen Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit, 635.300 waren über 6 Monate lang selbständig, aber nur für 449.800 Personen ist ihre selbständige Tätigkeit ihre Haupteinkommensquelle. In dieser Gruppe bezieht ein Viertel (rund 125.000) zusätzlich auch Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit. Hybride Erwerbstätigkeit – also die Kombination aus unselbständiger und selbständiger Beschäftigung – kommt bei der Hälfte aller Personen mit Selbständigeneinkommen vor, diese Personen machen rund 8% der unselbständig Beschäftigten aus. Die wohlfahrtspolitische Relevanz von Selbständigeneinkommen, ihre Einkommenssituation und ihre darauf aufbauende soziale Absicherung beruht damit häufig auf mehreren Einkommensquellen. Eine nähere Analyse, inwieweit die unterschiedlichen Quellen komplementär oder substitutiv sind, wäre bei Verfügbarkeit adäquater Daten sowohl aus einer Arbeitsmarkt- als auch aus einer Sozialversicherungsperspektive bedeutend.

Unter Einbeziehung aller Personen, die in Haushalten mit Selbständigeneinkommen leben, sind knapp mehr als ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung (rund 1.902 Mio. Personen) direkt oder indirekt von Selbständigeneinkommen abhängig. Für 45% besteht eine mittlere und für 9% eine starke Abhängigkeit von dieser Einkommensart. In Haushalten mit mittlerer und starker Abhängigkeit sind Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb und in einem geringeren Ausmaß Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit die wichtigsten Quellen des Selbständigeneinkommens, während in Haushalten mit geringer Abhängigkeit es Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft, aus Werkverträgen oder sonstigen Quelle sind.

Polarisierung in der Einkommensverteilung

Personen in Haushalten mit selbständiger Erwerbstätigkeit als Haupteinkommensquelle waren 2017 stärker in den unteren wie auch in den oberen Einkommenssegmenten konzentriert: Jeweils 20% befanden sich in den beiden untersten Einkommensfünfteln, 27% im obersten Fünftel. Im Vergleich dazu sind Personen in Haushalten mit Unselbständigeneinkommen deutlich gleichmäßiger über diese Einkommensklassen verteilt.

Mit zunehmender Abhängigkeit der Haushalte von Selbständigeneinkommen steigt die Polarisierung in der Einkommensverteilung: 26% der Personen, die in einem starken Ausmaß von Selbständigeneinkommen abhängen, gehörten 2017 dem untersten, 37% dem obersten Einkommensfünftel an. Werden hingegen nur jene Haushalte betrachtet in denen ausschließlich selbständig erwerbstätige Personen leben, zeigt sich ein umgekehrtes Muster: Dort gehörten mehr Personen dem untersten als dem obersten Einkommensfünftel an.

Nicht nur die Einkommenspolarisierung, sondern auch das Armutsgefährdungsrisiko nimmt mit dem Grad der Abhängigkeit von Selbständigeneinkommen zu. In Haushalten mit Personen, deren wichtigste persönliche Einkommensquelle die selbständige Erwerbstätigkeit ist, war die Armutsgefährdungsquote 2017 zweieinhalb Mal so hoch wie in der Vergleichsgruppe der Haushalte mit Erwerbseinkommen.

Diese skizzierte Verschiedenartigkeit der Gruppe der Selbständigen schon vor dem Jahr 2020 zeigt es, wie schwierig die Implementierung treffsicherer Maßnahmen zur Abfederung von Einkommensverlusten ist. Für das Jahr 2020 liegen noch keine Einkommensinformationen auf Personen- oder Haushaltsebene vor, die es erlauben, die krisenbedingten Einkommenseinbußen der Selbständigen zu quantifizieren. Entsprechende Analysen und Beurteilungen werden der Heterogenität der Selbständigen Rechnung tragen müssen. Ungleichheiten, die bereits davor bestanden hatten, dürften sich durch die COVID-19-Krise weiter verschärfen.

Julia Bock-Schappelwein, Marian Fink,  Silvia Rocha-Akis und Christine Mayrhuber.
Julia Bock-Schappelwein, Marian Fink, Silvia Rocha-Akis und Christine Mayrhuber.WIFO/Alexander Müller

Die Autorinnen und Autoren

Julia Bock-Schappelwein ist Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Themen zu Arbeitsmarkt, Aus- und Weiterbildung, Gender, Migration, Digitalisierung und Zukunft der Arbeit.

Marian Fink ist Ökonom am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Einkommensverteilung sowie der Umverteilungsrolle des Staates.

Christine Mayrhuber ist Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Sie forscht zu Fragen der Einkommensentwicklung und Einkommensverteilung aus einer Genderperspektive, zur Struktur und Finanzierung der Pensionsversicherung, zu Umverteilungswirkungen sozialstaatlicher Strukturen.

Silvia Rocha-Akis ist Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Sie forscht zur Entwicklung der Einkommen und der Verteilungs- und Umverteilungswirkung des Steuer-Transfersystems sowie wirtschaftspolitischer Maßnahmen.

Mehr zum Thema:

Bock-Schappelwein, J., Fink, M., Mayrhuber, Ch., Rocha-Akis, S., Selbständig Erwerbstätige in Österreich. Struktur, Einkommen und Betroffenheit von der COVID-19-Krise, WIFO-Monatsberichte, 2021, 94(3), S.205-223, https://www.wifo.ac.at/publikationen/wifo-monatsberichte?detail-view=yes&publikation_id=67038

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