Atomabkommen

Wie Europa den „Metzger von Teheran“ hofiert

 Eine Iranerin hält ein Bild von Ebrahim Raisi bei einer Straßenfeier nach dessen Wahlsieg in Teheran im Juni.
Eine Iranerin hält ein Bild von Ebrahim Raisi bei einer Straßenfeier nach dessen Wahlsieg in Teheran im Juni.APA/AFP/ATTA KENARE
  • Drucken

Die Europäer umgarnen den neuen iranischen Präsidenten, Ebrahim Raisi. Dessen Gegner sprechen von einem „historischen Verrat“.

Die Richtung ist klar: Die Europäische Union und wichtige ihrer Mitgliedsländer suchen offen den Kontakt zum neuen iranischen Präsidenten, Ebrahim Raisi. Vergangene Woche schickte Brüssel einen hochrangigen EU-Diplomaten zur Amtseinführung Raisis nach Teheran. Diese Woche telefonierte der französische Präsident, Emmanuel Macron, als erster westlicher Staatschef mit dem neuen starken Mann der Islamischen Republik.

Das Ziel ist ebenso eindeutig: Die EU will erreichen, dass Raisi möglichst bald die zuletzt unterbrochenen Wiener Verhandlungen über das Atomabkommen von 2015 wieder aufnimmt. Doch Israel und die iranische Opposition kritisieren, die EU und ihre Mitglieder würden damit einen Mann legitimieren, der Blut an den Händen habe.

Das iranische Volk werde den „historischen Verrat“ Europas niemals vergessen, schrieb die prominente iranische Oppositionsaktivistin Masih Alinejad nach Macrons Telefonat mit Raisi auf Twitter. Alinejad lebt im US-amerikanischen Exil. Weil sie nach Ermittlungen der US-Justiz von iranischen Agenten entführt werden sollte, steht die 44-Jährige in New York unter Polizeischutz.

Gratulation für „Massenmörder“

Macron habe einem „Massenmörder“ zum Amtsantritt gratuliert, kritisierte Alinejad. Sie meinte damit Raisis mutmaßliche Beteiligung an der Massenhinrichtung von bis zu 5000 Häftlingen im Iran im Jahr 1988. Raisi und andere iranische Behördenvertreter hätten süßes Gebäck gegessen, während sie Todesurteile unterschrieben, sagte ein Augenzeuge der Hinrichtungen der britischen Zeitung „Sunday Express“. In Schweden begann am Dienstag ein Prozess gegen einen Ex-Mitarbeiter der iranischen Staatsanwaltschaft, der wie Raisi an dem Massaker 1988 beteiligt gewesen sein soll. Raisi hat die Hinrichtungen als notwendig gerechtfertigt.

Europa legitimiere die Macht des „Metzgers von Teheran“, kritisiert auch Israel. Außenamtssprecher Lior Haiat schrieb auf Twitter, die Entsendung des EU-Atomunterhändlers Enrique Mora zur Feier von Raisis Amtsübernahme vorige Woche sei ein Beispiel für „Schmeichelei und Unterwürfigkeit“. Der Besuch fiel mit dem Streit um den Drohnenangriff auf den Tanker Mercer Street vor der Küste von Oman zusammen. Bei dem Angriff auf das Schiff, das für die Firma eines israelischen Unternehmers fährt, kamen zwei Menschen ums Leben. Israel, die USA und Großbritannien geben dem Iran die Schuld, doch Teheran streitet alles ab.

Im EU-Parlament regt sich ebenfalls Unmut über den europäischen Kurs. EU-Vertreter Mora saß bei der Feier zu Raisis Amtsübernahme in Teheran hinter Spitzenvertretern der radikalislamischen Gruppen Hisbollah und Hamas, die von der EU als Terrororganisationen eingestuft werden. Die EU betonte trotz der Einwände, die diplomatischen Kontakte mit der neuen iranischen Führung seien wichtig. Mora traf in Teheran den designierten neuen iranischen Außenminister, Hossein Amir-Abdollahian. Der 57-Jährige ist wie Raisi ein Hardliner und hat enge Verbindungen zur Revolutionsgarde, die den iranischen Einfluss im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen steuert.

Das Ziel der Mühen der EU ist es, die Verhandlungen über eine Wiederbelebung des Atomvertrags von 2015 fortzusetzen. Diese waren nach Raisis Wahlsieg im Juni unterbrochen worden. Angestrebt wird eine Einigung, unter der Teheran zu den Vorschriften des Vertrages zurückkehrt, etwa bei der Beschränkung der Urananreicherung, und dafür mit einem Abbau amerikanischer Wirtschaftssanktionen belohnt wird.
Raisi bekundete laut iranischen Staatsmedien im Telefonat mit Macron sein Interesse an baldigen Atomgesprächen – der neue Präsident weiß, dass er ohne teilweise Aufhebung der Sanktionen die Wirtschaft nicht flottbekommt. Welche Kompromisse er dafür eingeht, ist aber offen. Im September sollen die Verhandlungen in Wien weitergehen.

Auch aus Wien kamen Glückwünsche

Bei seiner Amtsübernahme erklärte Raisi, er werde sich zwar um eine Aufhebung der US-Sanktionen bemühen, aber nicht so weit gehen, sich dem „Willen der Ausländer“ zu unterwerfen, um den Lebensstandard der Iraner zu erhöhen. Auch denkt Raisi offenbar nicht daran, die aggressive Außenpolitik des Iran zu überdenken. Sein Land werde an der Politik der „Abschreckung“ in der Region festhalten, sagte er Macron.

Auch der österreichische Bundespräsident, Alexander Van der Bellen, hatte Raisi vor mehr als einem Monat „aufrichtig“ zu seinem Wahlsieg gratuliert und gehofft, die Gespräche über das Atomabkommen wieder in Schwung zu kriegen. Dafür war er sogar aus den Reihen seiner eigenen Partei, der Grünen, kritisiert worden.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Vor dem Gerichtsgebäude in Stockholm fordern Angehörige der Opfer von damals Gerechtigkeit.
Weltrechtsprinzip

Massenhinrichtungen 1988: Iraner Nouri steht in Stockholm vor Gericht

Nouri wird die Beteiligung an der Tötung Tausender Iraner unter Khomeini vorgeworfen. Er war 2019 nach Schweden gelockt worden, wo ihm nun der Prozess gemacht wird.
Etwa zwei Wochen nach der Wahl im Iran schnellen die Corona-Zahlen nach oben
Ein einem Tag

Höchststand: 542 Corona-Tote und fast 40.000 neue Fälle im Iran

Die Delta-Variante des Virus wird als Ursache für den Anstieg der Zahlen angegeben. Nach offiziellen Angaben sind damit mittlerweile mehr als 94 000 Menschen im Iran an Corona gestorben.
Zwei Tage vor der Vereidigung bestätigte Revolutionsführer Ali Khamenei die Wahl Ebrahim Raisis zum neuen iranischen Präsidenten.
Analyse

Irans neuer Präsident Raisi soll Überleben des Mullah-Staats sichern

Kompromisse sind vom neuen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi nicht zu erwarten. Das machte er schon vor seiner Vereidigung deutlich.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.