Geisteswissenschaften

Dringend nötig: Wandel in der Wirtschaft und im Wortschatz

Kongress-Zentrum Alpbach, Tirol
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Der ökologische Fußabdruck gehört auch philosophisch betrachtet. In einem Seminar des Forums Alpbach erarbeiten junge Menschen, wie man das große Umdenken anstoßen kann. Im Anthropozän zählen zudem Rhetorik und Begrifflichkeiten.

Die Wirtschaft will ewiges Wachstum? Kein Baum ist so deppert!“, sagt der heimische Kabarettist Lukas Resetarits. Diesem Gedanken widmet sich ein Seminar des Forums Alpbach am 19. August in den Räumlichkeiten der Volksschule im schönen Alpendorf – analog ohne Online-Zuschauer. Unter dem Titel „Human Footprint – How to Improve it for the Good of All“ (Menschlicher Fußabdruck – Wie man ihn zum Wohl für alle verbessert) sprechen der Philosoph Josef Mitterer von der Uni Klagenfurt und seine polnischen Kolleginnen Aleksandra Derra und Ewa Bińczyk (Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń) über neue Perspektiven, um die Welt zu retten.

Warnen und zugleich motivieren

Mit den internationalen Studierenden in der Alpbacher Seminarwoche wollen die drei Philosophen Wege aus den Katastrophen suchen. „Es geht um den Ernst der Lage: nicht nur um den Klimawandel im Allgemeinen, sondern um die Komplexität der ganzen Prozesse“, sagt Ewa Bińczyk zur „Presse“. Die Versauerung der Ozeane, Verschlechterung der Bodenqualität, Massenaussterben und Verlust der Biodiversität – alles hängt zusammen. „Wir wollen die jungen Leute angesichts der Vielfalt der Krisen warnen: Aber wir wollen sie nicht belehren oder gar indoktrinieren, sondern zu kritischem Denken und Handeln motivieren“, betont Josef Mitterer. Aleksandra Derra fügt hinzu: „Wir hoffen, dass wir positive, konstruktive Visionen für die Zukunft anstoßen.“ Die drei Vortragenden sind sich einig, dass noch zu wenig auf die Wissenschaft gehört wird und dass es noch mehr Daten und Fakten braucht, um die Dringlichkeit von Veränderung klarzumachen.

„Gerade die junge Generation fühlt sich hoffnungslos und alleingelassen, ohne politische Vertretung“, sagt Bińczyk. Das wäre eines der Paradoxe im „Anthropozän“, also dem Zeitalter, in dem Menschen den Planeten irreversibel verändert haben – und das Bińczyk philosophisch erforscht. „Es heißt, dass im Anthropozän eigentlich zu viele Vertretungen und Behörden geschaffen wurden. Aber gerade für die junge Generation, der wir diese Erde hinterlassen, gibt es zu wenig“, betont sie. Daher treten die polnischen Philosophinnen für einen Umschwung im gesunden Menschenverstand ein: Business as usual kann nur in den Abgrund führen, es braucht eine ökologische Ökonomie.

Ökologische Ökonomie mit neuen Ideen

„Das darf nicht verwechselt werden mit Umweltökonomie“, konkretisiert Aleksandra Derra. Denn die „Ecological Economy“ schafft völlig neue Ansätze, die jegliche Abhängigkeiten der Wirtschaft von der Biosphäre berücksichtigen. „Wir brauchen praktische Lösungen für die Zukunft. Solche können wir uns mit den jungen Menschen ausdenken“, so Derra. Weg vom ewigen Wachstumsgedanken hin zu einer Gesellschaft des „Degrowth“ (Wachstumsrücknahme), weg von dem Fokus auf „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ hin zu einer „Freetime Society“ mit mehr Wert der frei verfügbaren Zeit. Was heißt Wohlstand, und wie stellen wir uns eine postkapitalistische Welt vor?

„Dafür wollen wir Bewusstsein schaffen und die vielen Schichten von Ungleichheit ansprechen“, sagt Derra. Aus geisteswissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, wie man ein Umdenken anregen kann, wie wir in Europa die emanzipatorischen Bewegungen neu ankurbeln, um die Wirtschaft umzukrempeln.

„Es werden zwar hauptsächlich europäische Studierende im Seminar sein, aber wir wollen ihnen klarmachen, dass es nicht allen so gut geht wie uns“, sagt Bińczyk. Josef Mitterer, der in Polen in einem Atemzug mit Ludwig Wittgenstein genannt wird und ein wichtiger Mentor und Freund für Bińczyk und Derra ist, ergänzt: „Das Umdenken startet oft mit einer Änderung in der Rhetorik.“

Die grammatikalische Auseinandersetzung mit Begriffen der Wirtschaft und des Klimawandels, etwa auch mit dem Begriff des ökologischen Fußabdrucks, erforscht Mitterer auch in seinem emeritierten „Unruhestand“. Bińczyk betont: „Der Wortschatz und die Metaphern beeinflussen unser Denken. Das Wort ,Geo-Engineering‘ gibt uns das Gefühl, dass wir technisch etwas gegen den Klimawandel tun können. Aber das ist nicht so.“ Und Derra zerpflückt ein anderes Vokabel: „Wir Europäer halten uns für ,zivilisiert‘, aber wir finden, dass Naturvölker, die im Einklang mit dem Planeten leben, viel mehr diese Bezeichnung verdienen.“

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