Menschen versuchen auf das Flughafengelände in Kabul zu gelangen.
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Mitreden bei Afghanistan: Wie soll Österreich reagieren?

Während Afghanistan im Chaos versinkt, will Innenminister Nehammer über Abschiebezentren in der Region diskutieren. Die richtige Ansage? Und: Was können Österreich - und die EU - tun, und die Region zu unterstützen und eine Massenflucht zu verhindern? Diskutieren Sie mit!

Am Wochenende überschlugen sich in Afghanistan die Ereignisse: Die radikalislamischen Taliban sind wieder im Zentrum der Macht. „Nun wurde nach Großbritannien und den Sowjets schon die dritte Supermacht, nämlich Amerika, mürbe gekämpft und aus dem Land vertrieben“, fasst Terrorexperte Guido Steinberg im Gespräch mit „Presse"-Mitarbeiter Alfred Hackensberger zusammen. Dieser stellt sich in seinem Artikel auch die Frage: Wird Afghanistan eine Brutstätte des Terrors? Denn: Für Jihadisten  aus aller Welt wird Afghanistan wohl wieder ein Magnet.

„Es beginnt eine neue Ära der Gleichgültigkeit“, kommentierte vor wenigen Tagen Christian Ultsch, Außenpolitik-Chef der „Presse“, in einem Leitartikel. In Afghanistan brechen dunkle Zeiten an und die Massenflucht werde sich in absehbarer Zeit beschleunigen - und destabilisierend bis nach Europa wirken: „Es war keine gute Idee, so unüberlegt aus Afghanistan abzuziehen und das Land den Taliban auf dem Silbertablett zu servieren."

Chaotisch war die Lage am Montag nach dem Umsturz am Flughafen in Kabul. Diplomaten wurden ausgeflogen, Hunderte Afghanen versuchten, das Rollfeld zu stürmen, um in Flugzeuge zu gelangen, US-Soldaten feuerten Warnschüsse in die Luft. Menschen sollen sogar aus größerer Höhe von einem Militärflugzeug gefallen sein (Diese Angaben konnten bis Montagnachmittag nicht unabhängig verifiziert werden).

Österreichs Regierung diskutiert indes über Abschiebungen.  Innenminister Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) kündigten eine virtuelle Konferenz an, bei der sie mit Nachbarländern Afghanistans und einigen EU-Staaten ein weiteres Vorgehen besprechen wollen. Ziel solle sein, Flüchtlingen in der Region „mit Partnern vor Ort“ zu helfen. Abschiebungen sollen - sofern das möglich ist - weiter stattfinden. Auch beim Sonderrat der EU-Innenminister am Mittwoch will Nehammer Abschiebezentren rund um Afghanistan vorschlagen.

Deutschland, Dänemark und die Niederlande sprachen bereits einen Abschiebestopp aus. Österreich bleibt dagegen bei seiner Linie - auch wenn es aktuell kaum möglich ist, abzuschieben: Die Abschiebungen haben sich „erledigt“, sagte etwa der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein in der „ZIB 2“ - ähnlich Parteichef Werner Kogler am Wochenende: Abschiebeflüge seinen „rechtlich und faktisch“ unmöglich. Klubchefin Sigrid Maurer sah am Sonntag bei der Abschiebung abgelehnter Asylwerber keinen koalitionsinternen Diskussionsbedarf. Von einem „Bluff“ der ÖVP spricht indes der blaue Parteichef Herbert Kickl: Die letzte Abschiebung sei sei immerhin vor zwei Monaten erfolgt.

Christian Ultschkommentierte bereits vor einer Woche: „Der türkise Teil der Regierung sendet bewusst ein Signal der Härte aus, um Afghanen von einer Flucht nach Österreich abzuschrecken.“ Und weiter: „Grundsätzlich haben abgelehnte Asylwerber, vor allem strafrechtlich verurteilte, kein Bleiberecht. Doch in die Todeszone darf man sie nicht schicken.“ Während das Drängen auf Abschiebungen zunehmend „Symbolpolitik“ sei, wäre konkrete Hilfe nötig - „für die jetzt schon drei Millionen Binnen-Vertriebenen in Afghanistan und die 2,5 Millionen Flüchtlinge, die sich großteils in den Nachbarländern Iran und Pakistan aufhalten."

Ein vorläufiges Fazit von Wieland Schneider gibt es auch: „Von Österreich kommen in der Diskussion keine wirklich konstruktiven Beiträge."

(sk)

Diskutieren Sie mit: Welche Haltung soll Österreich zur aktuellen Lage in Afghanistan einnehmen? Sind „Abschiebezentren“ in der Region vertretbar? Und: Wie soll Europa reagieren, wenn eine große Fluchtbewegung aus Afghanistan in die EU einsetzt?

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