Abschiebungen in das von den radikalislamischen Taliban übernommene Land finden faktisch nicht mehr statt. Deshalb will die oberösterreichische ÖVP „verurteilte afghanische Straftäter in Verwahrung“ behalten.
Allzu oft meldet sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen in aktuellen innenpolitischen Debatten nicht zu Wort. In der Diskussion um die Fortführung von Abschiebungen nach Afghanistan tat er das am Dienstag aber schon – und stellte sich dabei klar gegen die Linie von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).
Der hält – zumindest offiziell – noch immer an Abschiebungen in das von den radikalislamischen Taliban übernommene Land fest. Das sei aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen „fehl am Platz“, sagte der Bundespräsident. Denn eine solche Vorgehensweise stehe im Widerspruch zur in der Österreichischen Verfassung verankerten Europäischen Menschenrechtskonvention.
Faktisch wird allerdings ohnehin nicht mehr nach Afghanistan abgeschoben. „Das weiß die ganze Bundesregierung, und das wird so sein“, bestätigte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) beim ORF-„Sommergespräch“. Tags darauf wurden vier Flüchtlinge aus Afghanistan im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Rumänien rückgeführt. Das gab das Innenministerium bekannt. Wie viele afghanische Staatsbürger derzeit noch in Schubhaft sitzen und nach Afghanistan hätten abgeschoben werden sollen, war aus dem Ressort aber nicht zu erfahren.
199 Außerlandesbringungen
Nur im Rückblick sind Zahlen bekannt. Im laufenden Jahr wurden 100 Menschen nach Afghanistan gebracht (freiwillig bzw. zwangsweise). Weitere 99 waren sogenannte Dublin-Fälle und wurden in ein anderes EU-Land geschickt.
Von den Außerlandesbringungen sind laut Innenministerium ausschließlich Männer betroffen. Oft sind sie davor straffällig gewesen. Dazu hat das Ressort eine Statistik. Von den insgesamt 199 Afghanen, die heuer bereits außer Landes gebracht wurden, traf das auf 127 zu.In welcher Form sie straffällig geworden sind, ist nicht bekannt.
Der Umgang mit straffällig gewordenen Afghanen, die hätten abgeschoben werden sollen und nun nicht außer Landes gebracht werden (können), bringt eine altbekannte Debatte zurück – jene über die Sicherungshaft. Angestoßen wurde sie am Dienstag von der sich im Wahlkampf befindenden oberösterreichischen ÖVP.
„Wenn Abschiebungen wegen der Lage in Afghanistan derzeit nicht mehr möglich sein sollten, müssen unser Behörden die Möglichkeit erhalten, Gefährder und verurteilte afghanische Straftäter in Verwahrung zu halten“, sagt Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer in den „Oberösterreichischen Nachrichten“. Mit der Verhängung der Sicherungshaft soll die Lücke zwischen der Abschiebe-Entscheidung und deren Durchführung überbrückt werden. In der ÖVP im Bund äußert man sich vorerst zurückhaltend dazu. „Ja, die Sicherungshaft steht im Regierungsprogramm“, ist aus dem Büro von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zu hören. Einzelne Maßnahmen daraus wolle man aber nicht kommentieren.
Die Sicherungshaft sorgte bereits unmittelbar nach Bildung der türkis-grünen Koalition für Diskussionen. Man interpretierte den gemeinsam beschlossenen Koalitionspakt unterschiedlich. Konkret steht in dem nämlich Folgendes: „Daher soll ein zusätzlicher, verfassungskonformer Hafttatbestand (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit) eingeführt werden für Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden.“ Die Volkspartei sah damit die Einführung der Sicherungshaft paktiert. Die Grünen nicht. Immerhin brauche es dafür eine Verfassungsänderung – und der habe man damit nicht zugestimmt. Das hat seither immer wieder für Debatten gesorgt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2021)