Afghanistan

EU will direkt mit Taliban reden, Österreich schickt Evakuierungs-Team

Josep Borrell während des virtuellen EU-Außenministertreffens mit Thema Afghanistan am Dienstag.
Josep Borrell während des virtuellen EU-Außenministertreffens mit Thema Afghanistan am Dienstag.REUTERS
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„Die Taliban haben den Krieg gewonnen“, sagt der EU-Außenbeauftragte Josep Borell. Das bedeute aber keine offizielle Anerkennung der Islamisten. Österreich schickt für die rund 25 verbliebenen Staatsbürger ein Hilfsteam nach Kabul.

Die EU wird nach Einschätzung ihres Außenbeauftragten Josep Borrell einen Dialog mit den neuen Machthabern in Afghanistan aufnehmen müssen. "Die Taliban haben den Krieg gewonnen, also werden wir mit ihnen reden müssen", sagte er am Dienstagabend nach einer Videokonferenz der EU-Außenminister.

Ziel soll es demnach unter anderem sein, eine mögliche neue Migrationskatastrophe und eine humanitäre Krise zu verhindern. "Wir müssen sicherstellen, dass die neue politische Situation in Afghanistan (...) nicht zu einer massiven Migrationsbewegung nach Europa führt", erklärte Borrell.

Zudem soll nach den Worten des Spaniers verhindert werden, dass Afghanistan erneut zu einem Rückzugsort für internationale Terroristen werden kann. Um die Frage einer offiziellen Anerkennung der Taliban gehe es nicht.

Achtung der Grundrechte im Zentrum

In einer Erklärung aller 27 Mitgliedstaaten zu dem Treffen wurde zudem betont, dass die Zusammenarbeit mit einer künftigen afghanischen Regierung von einer ganz Reihe von Faktoren abhängig sein wird. Konkret genannt wurden dabei unter anderem die Achtung der Grundrechte aller Afghanen, einschließlich der Frauen, Jugendlichen und Angehörigen von Minderheiten.

Der Bevölkerung des Landes sicherte die EU zugleich eine Fortsetzung von humanitärer Hilfe zu. Man fordere alle Akteure dazu auf, sicheren und ungehinderten Zugang zu dieser Unterstützung zu gewähren.

Österreich schickt Krisenteam

Das Außenministerium schickt unterdessen ein Krisenteam nach Afghanistan, um jene Österreicher, die sich noch in Afghanistan befinden, bei der Ausreise zu unterstützen. Das hat Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Dienstag angekündigt. Rund 25 Österreicher und rund 20 Afghanen mit gültigem Aufenthaltstitel in Österreich hätten sich in den vergangenen 72 Stunden gemeldet und um Hilfe bei der Ausreise gebeten. Der Großteil dieser Personen halte sich im Großraum Kabul auf.

Das Krisenteam soll den Betroffenen helfen, zum Flughafen in Kabul zu gelangen und in einem der Evakuierungsflüge anderer Länder untergebracht zu werden. Österreich schicke keinen eigenen Flieger, weil das Problem derzeit nicht die Flugkapazität sei, sondern zum Flughafen zu kommen, sagte Schallenberg. Zur Evakuierung gebe es bereits "ein konkretes Hilfsangebot unserer deutschen Freunde". Bei den Österreichern handle es sich überwiegend um Österreicher mit afghanischen Wurzeln, die auf Besuch in dem Land waren und sich nicht reiseregistriert hätten, sagte der Außenminister.

Österreich will UNHCR mit drei Millionen Euro unterstützen

Der Westen stehe in Afghanistan "vor einem Scherbenhaufen", sagte Schallenberg. Es habe keinen Sinn, mit dem Finger auf andere zu zeigen, denn es sei "ein Fiasko, das uns alle gleichermaßen betrifft." Österreich stelle drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) für Afghanistan und die Region zur Verfügung, kündigte der Außenminister an. Damit solle das UNHCR unterstützt werden, damit Flüchtende direkt in der Region versorgt werden können. "Denn ein Ziel eint uns alle in Europa: Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen", sagte er. Daher erwarte er sich auch ein Signal der Sondersitzung der EU-Außenminister, so Schallenberg vor Sitzungsbeginn. Bei den europäischen Bemühungen sollten auch die Nachbarländer Afghanistans und die Transitländer miteinbezogen werden.

Zum Umgang mit den neuen Machthabern in Afghanistan forderte Schallenberg eine "klare gemeinsame Linie" der EU-Staaten. Afghanistan dürfe nicht "zu einem sicherheitspolitischen schwarzen Loch" und "einem Inkubator des internationalen Terrorismus" werden. Daher müsse es klare Forderungen gegenüber den Taliban geben, um eine Zusammenarbeit mit den Taliban überhaupt in Betracht zu ziehen. Es dürfe keine Lynchjustiz geben und keine Unterstützung für Terroristen wie dem IS und al-Qaida geben. "Grund- und Freiheitsrechte aller Afghanen, insbesondere von Frauen und Minderheiten - sind für uns conditio qua non", so Schallenberg. Die EU wolle die Partnerschaft mit dem afghanischen Volk fortsetzen, so Schallenberg. Aber eine Partnerschaft funktioniere nur mit einem zurechenbaren und vernünftigen Gegenüber.

Noch kein Andrang an den Grenzen

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni forderte Europa auf, einen Korridor für eine organisierte Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan zu schaffen. Dies sei auch notwendig, um einen Zustrom von illegalen Einwanderern zu verhindern.

Seit dem Wochenende sind noch keine großen Menschenmassen an den Grenzen zu Afghanistans Nachbarländern beobachtet worden, hieß es beim UNHCR auf Anfrage der „Presse“. Man sei jedoch in Bereitschaft und könne bei Bedarf größere Mengen an Wasser und Nahrung herbeischaffen und für Unterbringung sorgen. Allein in Afghanistan selbst wurden heuer schon 550.000 Binnenvertriebene gezählt. In den Nachbarländern Pakistan und Iran halten sich schon seit Jahren Millionen Flüchtlinge auf.

(Red./APA/dpa)

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