Gastkommentar

Coronakrise: Aspekte des Unbehagens, Teil 2

Sollen Ungeimpfte wirklich vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden?
Sollen Ungeimpfte wirklich vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden?Die Presse/Clemens Fabry
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Ungeimpfte sollen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden. Wem da nicht mulmig zumute wird, dem kann ich zukünftige Bedenken hinsichtlich Diskriminierungen aller Art nicht mehr ernsthaft abnehmen.

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Dieser Beitrag ist die Fortsetzung eines Gastkommentars, den die Autorin im März veröffentlicht hat.

Weniger sind sie nicht geworden, die Aspekte des Unbehagens hinsichtlich der Corona-Politik. Gelegentlich reibt man sich durchaus die Augen während des Nachrichtenkonsums: Da verkündet etwa ein Herr Deiß in der deutschen „Tagesschau“ - mit nahezu heiterer Miene -, dass es für Ungeimpfte nun ungemütlich werde (kostenpflichtige Tests!); der „richtige Hammer“ drohe aber noch; sprich: Alle Ungeimpften sollen letztlich vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden.
Es ist bekannt: Der Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker, Landeshauptmann Schützenhöfer und der Ärztekammerpräsident Szekeres haben nun schon eifrig nachgezogen und in die selbe Kerbe geschlagen. Die „Zib 1" berichtet brav darüber, eine Gegenstimme wird nicht präsentiert.

Wem da nicht mulmig zumute wird, dem kann ich zukünftige Bedenken hinsichtlich Diskriminierungen aller Art nicht mehr ernsthaft abnehmen. Und Medien, die diese „Zukunftsaussichten“ nicht ausreichend kritisch beleuchten und kommentieren, kann ich wohl ebenso nur mehr schwer wertschätzen.

Existieren als unsolidarischer Akt

Einleuchtend ging es am Beginn der Pandemie um den Schutz der Alten und darum, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Jeder hat diese Argumente noch im Kopf, oft genug hat man sie für sich und andere wiederholt, um die Grundrechtseinschränkungen wirklich einzusehen und auszuhalten. Nun sind die Alten und Vulnerablen geimpft und auch alle anderen können sich impfen lassen, für Kinder stellt – etwa im Gegensatz zu Masern – Corona kaum eine Gefahr dar; die Krankenhäuser sind nicht überfüllt.
Trotzdem werden Grundrechtseinschränkungen durchgeführt (ja, auch dass es Menschen ohne G nicht möglich ist, etwa ein Getränk in einem Gastgarten zu sich zu führen, tangiert die Grundrechte) und in Aussicht gestellt; in Deutschland explizit, in Österreich noch eine Spur vager: Ungeimpften Getesteten soll das Leben besonders schwer (also teuer, erniedrigend und umständlich) gemacht werden - oder es soll ihnen die Teilnahme am öffentlichen Leben überhaupt verunmöglicht werden (mit der Königsklasse der Maßnahmenriege: 2G, wenn nicht gar 1G! Sich mit der weiteren angedachten Absurdität, auch GENESENE auszuschließen, zu befassen, soll hier kein Platz mehr sein.)

Als plausibel wird das auch deswegen von manchen nahezu eindringlich-pathetisch beschworen, da sich die Ungeimpften ja nicht solidarisch zeigten. Ob der Begriff der Solidarität in diesem Fall nicht ohnehin zu weit gespannt ist, sei einmal dahingestellt; denn selbst als sich eben dieses Solidaritäts-Argument mit der Erkenntnis, dass die Impfung zu keiner sterilen Immunität führt, im Grunde endgültig in Luft aufgelöst hat, bleibt es dabei: Die schlichte Anwesenheit von (selbst getesteten!) Ungeimpften in einem Wirtshaus könnte in Zukunft des Teufels sein. Das pure Dasein an gewissen Orten wird als gemeinschaftsfeindlich geframed: Existieren als krimineller Akt.

Das korrekte Feindbild

Wenn man ein wenig in den Kommentarspalten der sozialen Medien mitliest und sich den ein oder anderen Kommentar von etablierten Journalisten zu Gemüte führt, kann sich schon einmal der Verdacht einstellen, dass mit dem nunmehr gefundenen Feindbild der Ungeimpften eine gewisse Freude einhergeht: endlich ein politisch korrekter Sündenbock?! Und um diese Uneinsichtigen ist nun wirklich nicht schad‘; deren Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, ist ja unvernünftig – darum kann man sie schon mal mit wohligem Gefühl ausstoßen, mobben, verächtlich belächeln und ausgiebig in der eigenen Überlegenheit schwelgen.

Freilich gebärden sich nicht alle Geimpften so; vielleicht ist der oben karikierte klassisch Unfehlbare nur das Pendant zum ebenso laut-unsympathischen Verschwörungstheoretiker der völlig abstrusen Sorte? Lassen wir uns von diesen Extremen den Diskurs oder gar das Zusammenleben verderben?
Vielleicht sollte man nicht nur Verschwörungstheoretiker aus den Öffentlich-Rechtlichen Medien verbannen, sondern auch tendenziell radikalisierte Grundrechtsskeptiker.

Zuschreibungen ersetzen Argumente

Freilich ist auch „Grundrechtsskeptiker“ eine Zuschreibung; aber der Begriff soll einen Versuch darstellen, auch diejenigen etwas provokativ zu benennen, die in den massiven Grundrechtseinschränkungen und geplanten Diskriminierungsmaßnahmen den EINZIGEN VERNÜNFTIGEN Weg sehen, sich vielleicht sogar daran ergötzen oder die sich zumindest nicht daran stören.
Wenn man anderer Ansicht ist, etwa Lockdowns unangemessen fand, sich an der permanenten Impfpropaganda stört, den Ausschluss von Ungeimpften indiskutabel findet etc., landete und landet man doch rasant in der Ecke der Verschwörungstheoretiker, der Lebensgefährder oder der massiv Rechten. Wie dieses Narrativ entstanden ist, lässt sich schwer nachvollziehen, die Ausbreitung desselben allerdings nicht, wenn man die Politik und die etablierten Medien verfolgt hat. Gewirkt haben diese Zuschreibungen allemal heftig; vielleicht sind sie auch ein Grund für die Stille vieler sonst kritischer und humanistisch geprägter Menschen, die das Thema „Coronapolitik“ auch angesichts horrender Meldungen meiden. Sie wollen um keinen Preis in dubiosem Fahrwasser wahrgenommen werden, koste es, was es wolle.

Es ist durchaus etwas traurig und auch verblüffend zu beobachten, dass viele nicht zwischen Sprecher und Argument unterscheiden wollen und somit auch permanent vor dem „Beifall der falschen Seite“ warnen bzw. sich davor ängstigen. Diese Warnungen, diese Angst bereiten aber einer diskursfeindlichen Gesellschaft den Weg, die nicht mehr in der Lage ist, den Inhalt von Argumenten zu betrachten, sondern sie zuerst oder gar ausschließlich auf ihre Beliebtheit scannt.

Wissenschaft ist nun normativ

Die Aufgabe von Naturwissenschaften ist, im Rahmen unserer menschlichen Erkenntnisfähigkeit, herauszufinden, was ist. Im Grunde ist es nicht ihre Aufgabe, immer auch mitzusagen, was sein soll. Denn aus einer bestimmten Faktenlage folgt kein bestimmter Weg, geschweige denn nur ein einziger Weg; suggeriert wird das aber unablässig. Wie mit einer von Naturwissenschaften (in diesem Fall Epidemiologen, Virologen, Modellrechner) dargebrachten Faktenlage umgegangen werden soll, muss breit diskutiert werden. Der Weg ist abhängig von Einstellungen, von Werten, von der Antwort auf die Frage, was ein gutes Leben sein könnte.
Vier beliebige Menschen können eine Faktenlage anerkennen (persönlich kenne ich etwa keinen einzigen Corona-Leugner), aber zu vier unterschiedlichen, womöglich sogar vergleichbar vernünftigen, Handlungsanweisungen kommen; wäre dem nicht so, wäre Politik ja überhaupt überflüssig (und das Leben vielleicht unkomplizierter, aber auch uninteressanter). Das sind letztlich banale Aussagen, aber sie scheinen aus dem Blickwinkel geraten zu sein.

Wie die Gesellschaft aussehen soll, an dieser Diskussion darf und soll sich jedenfalls jeder beteiligen, nicht nur Experten – vor allem, wenn es um massive Eingriffe in das Privat- und Alltagsleben aller Menschen geht.
Wem Politiker gerade folgen, wenn sie stolz söder‘sche Forderungen aussprechen, ist unbekannt. Der Bevölkerung wohl nicht und besonders viele begabte Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen können daran wohl auch nicht mitgefeilscht haben.

Gute und schlechte Fakten

In die Nähe von „Verschwörungstheoretikern“ - vielleicht der am inflationärsten eingesetzte Begriff der letzten Jahre - kann man nun auch schon gerückt werden, wenn man bestimmte Fakten einfach nur mal beiläufig erwähnt. Etwa, dass die Corona-Impfstoffe eine bedingte Markzulassung haben. Es folgen skeptische Blicke - oder mitleidige, im Sinne von: „Oje, jetzt hat es auch sie erwischt. Sie muss aus den Fängen der Querdenker befreit werden!“

Erinnern kann man sich auch daran, als die sogenannte „Laborthese“, also die Möglichkeit, dass der Virus irrtümlich aus dem Virenforschungslabor in Wuhan gelangt sein könnte, prompt als rechts geframed wurde, indem man eifrig die Namen „Trump“ und „Steve Bannon“ in die Berichterstattung packte. Nun gilt die These als recht wahrscheinlich.

Auch die Sorge um die Kollateralschäden der Corona-Bekämpfung (in Form von Lockdowns) wurde eher als unerheblich abgetan. Nun ja, 130 Millionen Menschen, die aufgrund des plötzlichen und dauerhaften Entzugs der Lebensgrundlagen in den Hunger getrieben wurden, sind nicht nichts.
An dieser Stelle war und ist doch auch plötzlich vergleichsweise wenig die Rede von Solidariät.

Und schließlich galt die Warnung vor einer allfälligen Impfpflicht oder einer durch die bekannte Hintertür vor ein paar Monaten noch als abstrus, abwegig, irrational. Nun ist sie da.

Der Umgang mit denkbaren Szenarien und Möglichkeiten sollte womöglich wieder etwas weniger giftig, sondern zumindest eine Spur unvoreingenommener stattfinden.

Die Autorin

Martina Scheuringer hat in Wien Psychologie, Philosophie und Germanistik studiert und unterrichtet seit 14 Jahren an einem Linzer Gymnasium Deutsch und Psychologie und Philosophie.

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