Interdisziplinär

Was alles in der Geschichte Resonanz erzeugte

Archäologisches Museum von Olympia, Marmorstatue der Siegesgöttin Nike
Archäologisches Museum von Olympia, Marmorstatue der Siegesgöttin NikeImago
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Grazer und Erfurter Forscher untersuchen, mit welchen Mechanismen der Wunsch nach Resonanz erfolgreich genutzt werden konnte, um in Antike und Moderne gesellschaftliche und politische Kräfte zu etablieren.

Resonanz entsteht, wenn etwas zum Klingen gebracht wird, wenn eine Beziehung entsteht – zu Menschen, Dingen oder zur Welt. Ein „Gegenkonzept zur Allgegenwärtigkeit von Entfremdung“ nennt der deutsche Soziologe Hartmut Rosa seine Resonanztheorie, die seit 2016 im Diskurs über Alternativen zu Beschleunigung und Ökonomisierung der Gesellschaft eine Rolle spielt. Sein Grazer Kollege, der Altertumsforscher und Religionswissenschaftler Wolfgang Spickermann, spricht von einer unmittelbaren Erfahrung, einem Mitschwingen, das nicht steuerbar ist und das man durchaus kritisch sehen muss: „Schließlich haben auch der Fackelzug der Nationalsozialisten und die Gladiatorenkämpfe der Römer Resonanz erzeugt.“

Aus diesem Spannungsfeld entstand ein Forschungsprojekt, in dessen Mittelpunkt die Frage steht, wie gesellschaftliche Entwicklungen durch das Streben nach resonanten Beziehungen beeinflusst werden und in welchen Zusammenhängen diese wirksam werden. Derzeit untersuchen 16 Professorinnen und Professoren sowie 20 Doktoranden der Internationalen Graduiertenschule „Resonanz in Antike und Moderne“ der Uni Graz und des Max-Weber-Kollegs der Uni Erfurt dies vor einem soziologischen sowie altertums- und bibelwissenschaftlichen Hintergrund. Wie es zu dieser Kooperation kam? Rosa leitet das Max-Weber-Kolleg als Nachfolger Spickermanns, der die Position bis zu seinem Wechsel an die Uni Graz 2013 bekleidete.

Dreierlei Arten von Beziehung

Die Doktoranden befassen sich damit, wo, wie und mit welchen Mitteln in der Antike versucht wurde, Resonanz auszulösen und in welchem Kontext sie in der Gegenwart erzeugt werden kann. Finanziert werden sie durch den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und die deutsche Forschungsgemeinschaft DFG. – Die Resonanztheorie basiert auf drei Achsen, innerhalb derer intensive Beziehungen oder Erlebnisse möglich werden können: einer diagonalen, einer horizontalen und einer vertikalen. Die diagonale Resonanzachse bezieht sich auf Beziehungen zu Dingen oder Räumen, wie beispielsweise einen Tempel oder Altar, die horizontale auf Beziehungen zwischen Menschen, wie in Gemeinschaften, die bestimmte Resonanzerfahrungen ermöglichen, beispielsweise eine militärische Einheit oder ein Chor. Und die vertikale Achse bezeichnet Beziehungen zum (Gott-)Kaiser, zur Natur oder zur Kunst. „In dieser Interpretation sind sie für die Antike besonders gut darstellbar“, erklärt Spickermann – etwa mit Blick auf das römische Soldatenkaisertum oder die identitätsbildende Funktion griechischer Heroenkulte.

Beispiele aus Politik und Religion finden sich in der Untersuchung antiker Rituale. „Auch durch Wiederholung werden resonante Weltbeziehungen möglich“, erklärt Spickermann. „Dabei kann man in der Altertumsforschung nicht auf unmittelbare Erfahrungen zurückgreifen. Berichte über unmittelbare Erweckungserlebnisse durch bestimmte Phänomene, sogenannten Ego-Dokumente, finden sich erst in den Bekenntnissen des Augustinus.“ Als Beispiel empfiehlt er die Transformation des römischen Prinzipats in ein Gott-Kaisertum durch Augustus, der die Herrscherverehrung auch in Westrom mittels Inschriften und Münzen kommunizierte und im Laufe von zwei Generationen etablieren konnte.

Von der Resonanz zur Esoterik

„Vom Streben nach Resonanz bis zur Esoterik ist es nur ein kleiner Schritt“, sagt Spickermann. Das verdeutlicht auch eine bereits abgeschlossene Doktorarbeit von Anita Neudorfer mit dem Titel „Klingende Subjekte“. Die Forscherin hat darin „heilende Klänge“ und ihre Relevanz in Gesangsbewegungen untersucht. Aktuelle religionswissenschaftliche Fragen behandeln Arbeiten zur Verschleierung im Islam und zur Körperlichkeit der Frauen im Iran.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2021)

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