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"The Chair": Drei Frauen, ein Mann und ein Hitlergruß

The Chair / Die Professorin
The Chair / Die ProfessorinELIZA MORSE/NETFLIX
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Was macht Political Correctness mit den Universitäten? Das fragt die Netflix-Serie „The Chair“. Aber sie fragt auch: Was macht Rassismus mit ihnen? Was der Muff unter den Talaren? Und nimmt so alte und neue Zeiten gleichermaßen aufs Korn.

Man könnte diese Geschichte auch anhand von Joan erzählen, einer Nebenfigur in dieser Comedy rund um einen scherzhaft gemeinten Hitlergruß: Joan, das Urgestein auf der Pembroke University. Seit über dreißig Jahren lehrt sie englische Literatur, und wenn einer der anderen lang gedienten Kollegen ihr im Vorbeigehen mit einer Zeitung auf den Hintern klatscht und erklärt, sie habe immer noch einen tollen Arsch, dann regt sie sich nicht auf, sondern kontert: Das würde sie von seinem nicht sagen. So einfach geht das, könnte man nun meinen. Man muss sich nur wehren, darf nicht auf den Mund gefallen sein, wie Joan, die zarte und zähe Professorin.

Aber so einfach ist das nicht. Nichts ist wirklich einfach in dieser für eine Comedy erstaunlich differenzierten Serie. Und so findet sich Joan am Beginn des neuen Semesters in einem Kellerbüro im Fitness-Trakt der Uni wieder, ausgemustert, wofür der tatschende Kollege freilich nichts kann. Der sein Büro aber – natürlich – behalten darf.

Und so sucht Joan vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben eine Gleichbehandlungsbeauftragte auf, eine blutjunge Frau, was in einem rasend komischen und dabei die alten und die neuen Zeiten gleichermaßen entlarvenden Disput über Body Positivity und Maurerdekolletés gipfelt. Jedenfalls wird ihr erklärt: Sie solle sich doch an ihre Vorgesetzte wenden. Warum die nichts unternehme?

Das wird sie noch sehr oft zu hören bekommen.

Die Dynamik des Shitstorms

Diese Vorgesetzte ist Ji-Yoon. Sie wird gespielt von Sandra Oh, die uns auch in „Killing Eve“ von Phoebe Waller-Bridge als so selbstbewusste wie gebeutelte Frau in Bann zog. Und sie tut nichts. Weil sie glaubt, dass Frauen für sich selbst einstehen müssen? Weil sie der irrigen Annahme ist, es sei Feminismus genug, dass sie selbst es als Woman of Color auf den Posten des Institutsvorstands (Chair) geschafft hat? Sicher ist: Sie ist selbst schwer beschäftigt, unter anderem mit dem schon erwähnten Hitlergruß. Ihrem Love Interest und Mitarbeiter (ein verwuschelter Jay Duplass) ist er entschlüpft, im Scherz, während einer Vorlesung. Die natürlich mitgefilmt wurde, wofür hat man Handys. Jetzt ist er auf Twitter und in der Welt. Im Hof der Uni demonstrieren die Studenten und halten Schilder hoch: „Keine Nazis auf der Pembroke“.

„The Chair“ („Die Professorin“) ist eine Serie über Political Correctness an den Universitäten – und beschreibt präzise die Dynamiken eines Shitstorms. Zeitdiagnostischer Höhepunkt: Der Austausch des Professors mit den Studierenden. Eigentlich will er sich entschuldigen, einlenken, er kennt sie doch, sie mögen ihn doch, er ist sich sicher, er kann das klären. Er beginnt vorsichtig, durchaus PC-geschult: „Ich bin nicht Mitglied der jüdischen Gemeinschaft, also steht es mir nicht zu zu beurteilen, ob das beleidigend war oder nicht“. Die Studenten nicken. Er möchte nur mit ihnen reden! Noch mehr Zustimmung. Was sie wollen? „Keine Nazis auf der Pembroke.“ – „Klar, keine Nazis, nirgendwo.“ – „Keine Hassreden.“ – „Einverstanden.“ – „Sind Sie ein Rechtsextremer?“ Nein, erklärt er, er sei Professor, Nazis hassen Professoren, und dann zählt er Intellektuelle auf, die vor den Nazis in die USA geflüchtet sind: Adorno, Hannah Arendt, Bert Brecht. „Vergleichen Sie sich etwa mit jüdischen Flüchtlingen?“ Und das war's, ab da eskaliert der Dialog. Und vermutlich wäre er auch nicht zu retten gewesen, hätte der trottelige Dekan nicht die Polizei gerufen, um die Studenten vom Gelände zu vertreiben, weil dort doch eine Veranstaltung für Mäzene stattfinden soll.

So wird der einst beliebte Professor zum Opfer der Studenten, die eigentlich den Muff unter den Talaren bekämpfen wollten – verkrustete Strukturen, strukturellen Rassismus, unterschwelligen Sexismus. Der nicht nur an den Unis verstört.

Dazu passt es, dass überall groß getrommelt wird, die „Game-of-Thrones“-Macher David Benioff und D. B. Weiss hätten die Serie verantwortet. Die wahren kreativen Köpfe dahinter sind Amanda Peet, die auch die Idee hatte und ebenfalls als Produzentin firmiert, und Annie Wyman: Sie haben die Serie gemeinsam entwickelt und das Drehbuch geschrieben. Für beide ist es das Debüt. Well done.

„The Chair“, mit Sandra Oh als Professorin, Jay Duplass als ihr Love Interest, Nana Mensah und Holland Taylor als Kolleginnen. Die erste Staffel hat Netflix am Freitag ins Netz gestellt, sie ist schnell geschaut: sechs Folgen à 30 Minuten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2021)

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