Italienischer Fußball

Der Wertverfall des Calcio

Meister Inter musste Achraf Hakimi und Romelu Lukaku ziehen lassen. Können Arturo Vidal (im Bild) und Kollegen trotzdem den Titel verteidigen?
Meister Inter musste Achraf Hakimi und Romelu Lukaku ziehen lassen. Können Arturo Vidal (im Bild) und Kollegen trotzdem den Titel verteidigen?Inter via Getty Images
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Italiens EM-Titel kann die Probleme der Serie A nicht überdecken: Verschuldete Klubs spielen in baufälligen Stadien. Meister Inter ist ein Sinnbild der Krise.

Was der italienischen Nationalmannschaft bei der EM in diesem Sommer gelungen ist, hat der „Calcio“ schon lang nicht mehr geschafft: erfolgreich zu sein – mit einem Spiel, das die Massen begeistert. Ein bisschen von diesem Europameisterglanz möge, so die Hoffnung, auf die Serie A abfärben, die an diesem Wochenende als letzte der Topligen in die Saison startet. Dass bis auf Jorginho (Chelsea), Emerson (Lyon) sowie Marco Verratti und Gianluigi Donnarumma (beide Paris St. Germain, Letzterer im Sommer ablösefrei) alle übrigen Europameister in Italien spielen, mag nun also zur Werbung taugen. Die mannigfaltigen Sorgen der Serie A dürfte das aber nicht kaschieren.

Schon seit Jahren manifestiert sich ein sportlicher Niedergang. Hielt in der Saison 2019/20 in der Champions League zumindest noch Atalanta Bergamo die Flagge hoch, fand das Viertelfinale heuer ganz ohne italienische Beteiligung statt. In der Uefa-Fünfjahreswertung sind England und Spanien enteilt, von hinten drängt die deutsche Bundesliga mit Vehemenz nach. Man habe den Anschluss an den modernen Fußball verpasst, haderte Trainerlegende Arrigo Sacchi kürzlich anlässlich seines 75. Geburtstages. Sein AC Milan hatte in den 1990er-Jahren ganz Europa mit Ballbesitz- und Kombinationsfußball begeistert. Nun klagte er: „Meine Revolution ist überall kopiert worden. Nur nicht in Italien.“

Zu einem ähnlich vernichtenden Urteil kam die „Gazzetta dello Sport“ in einer ausführlichen Analyse im Frühjahr. Nicht nur, dass bei den Serie-A-Teams nach wie vor die konservative Schule überwiege, der Taktikfetisch im Training gehe auch zulasten der technischen Ausbildung der Spieler, kritisiert die Zeitung. Input von außen ist (noch) nicht gefragt, mit José Mourinho (AS Roma), Siniša Mihajlović (Bologna) und Ivan Jurić (FC Torino) sind nur drei ausländische Trainer in der höchsten Spielklasse tätig.

Internationale Stars, auf dem Rasen wie auf der Trainerbank machen nicht ohne Grund einen weiten Bogen um die völlig veralteten Stadien in Italien. 3,7 Milliarden Euro betrugen die Schulden der Serie-A-Klubs vor gut einem Jahr, die Pandemie hat die Situation weiter verschärft. Meister Inter Mailand, Napoli, Sampdoria Genua, Lazio Rom oder Benevento kamen heuer in Zahlungsrückstand. Auch deshalb hat der italienische Fußballverband FIGC im Sommer die Regierung eindringlich um finanzielle Unterstützung gebeten. Steuerschulden sollen in Raten getilgt werden dürfen, zudem das Werbe- und Sponsoringverbot für Wettanbieter für zwei Jahre außer Kraft gesetzt werden. Langfristig strebt die FIGC eine Verkleinerung der drei Profiligen an, ab 2024 sollen nur noch 18 statt zwanzig Teams in der Serie A antreten.

Während die Premier League die Corona-Einbußen auch dank neuen TV-Rekorddeals von 1,8 Milliarden Euro ab 2022 – unter gütiger Mithilfe der britischen Regierung – abfedern kann, zahlen Sky und Dazn für die Serie A künftig nur noch 840 Millionen Euro pro Saison und damit weniger als bisher (973). Der ernüchternde Vergleich: Meister Inter erhielt für die abgelaufene Saison knapp unter 100 Millionen Euro aus dem TV-Topf und damit weniger als der Premier-League-Letzte Sheffield.

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