Gewaltschutz

Behörden versagt? Frau rief Polizei und starb doch

STRAFLANDESGERICHT WIEN - MORDPROZESS
STRAFLANDESGERICHT WIEN - MORDPROZESSAPA/HERBERT NEUBAUER
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Ein amtsbekannter Gewalttäter ermordete seine Partnerin brutal. Er wurde am Dienstag zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Fall zeige Lücken im System auf, sagen Vereine.

Wien. Details der Anklage gegen den Wiener sind wegen der ihm vorgeworfenen Brutalität extrem: Der 29-Jährige soll seine Freundin minutenlang gewürgt, ihr ein Plastiksackerl über den Kopf gezogen und ihr schließlich ein Messer in den Bauch gestoßen haben. Die 28 Jahre alte Frau starb in ihrer Wohnung in Favoriten.

Der Angeklagte will mit ihrem Tod nichts zu tun haben, wie er am Dienstag vor einem Wiener Schwurgericht aussagte. Dem mutmaßlichen Mord ging eine lange Geschichte der Gewalt voraus. Es kam wiederholt zu Polizeieinsätzen, im Jahr 2019 zeigte die Frau ihren fünfmal vorbestraften Partner – er hatte bereits seine Ex-Frau regelmäßig verprügelt – wegen fortgesetzten Gewalttätigkeiten an. Vor Gericht zog sie jedoch ihre Aussage zurück, ihr Partner wurde freigesprochen.
Am Abend des 23. Februar kam es erneut zur Gewalt: Ihr Partner habe sie im Zuge eines Streits geschlagen, zu Boden gestoßen und verletzt, erzählte sie den von ihr gerufenen Polizeibeamten. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht, jedoch in der selben Nacht wieder entlassen. Kurze Zeit später war sie tot.

Der 29-Jährige, der sich beim Eintreffen der Polizei nicht mehr in der Wohnung befand, bestritt, etwas mit dem Tod der gebürtigen Polin zu tun zu haben. Er sei „stundenlang herumgeirrt“ und habe sie dann leblos am Boden liegend aufgefunden, behauptete er.
Für die Staatsanwaltschaft stellte sich jedoch kein Zweifel an dessen Schuld, die Indizien, unter anderem DNA-Spuren, sprächen für sich. So sah das schließlich auch das Gericht: Es verurteilte ihn zu einer lebenslangen Haftstrafe. Zudem wurde er auf Basis einer ihm vom Gerichtspsychiater bescheinigten Gefährlichkeit in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Lücken im System

„Dieser Mord zeigt Lücken im Opferschutz und ein Versagen der Behörden auf“, lautete das harte Urteil verschiedener Opferschutzorganisationen am Dienstag, die für heuer bereits 17 Femizide und 23 Mordversuche an Frauen durch ihre (Ex-)Partner zählten. Das wiederholte Gewaltverhalten des Täters sei Justiz und Exekutive bekannt gewesen, die Polizei habe den Mann als „hochgradig gefährlich“ eingestuft. „Wie kann es sein, dass diese Frau keinen Polizeischutz bekommen hat?“, sagte Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonomer Frauenhäuser.

Der Mord an der 28-Jährigen sei jedoch kein Einzelfall, sondern zeige Defizite im System des Opferschutzes auf, sagte auch Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt. Betretungs- und Annäherungsverbote müssten verhängt werden, sobald es zur Gewalttat komme, nur so würden Opferschutzeinrichtungen informiert. Auch in diesem Fall sei das nicht geschehen.

Zudem orteten die Expertinnen einen gefährlichen „Trend“ hin zu einer Täter-Opfer-Umkehr, wenn sich Frauen auch einmal zur Wehr setzen. Die Polizei unterscheide nicht zwischen Notwehr und Gewaltausübung. Immer öfter würden solche Frauen selbst angezeigt oder gar verurteilt, auch der 28-Jährigen sei es so ergangen.

Wenn ein Opfer eine Anzeige zurückziehe, bedeute das zudem nicht automatisch, dass die Vorwürfe falsch waren, sondern dass die Betroffene womöglich Angst hat. Manchen Richtern fehle die nötige Sensibilität, richtete Rösslhumer ihre Kritik auch an die Justiz. Die Beratungsstellen seien aber ohnehin häufiger als früher mit Fällen konfrontiert, in denen Anzeigen von der Exekutive erst gar nicht aufgenommen würden. „Die Frauen verlieren das Vertrauen in den Rechtsstaat“, sagte Andrea Czak vom Verein Feministische Alleinerzieherinnen.

Geld erst unterwegs

Wiederholt wurde die Forderungen zur Wiedereinführung unabhängigen Fallkonferenzen sowie nach mehr Geld für den Opferschutz. Dieses wurde erst im Mai auf 24,6 Millionen Euro aufgestockt, decke den Bedarf aber bei weitem nicht, hieß es.
Aus dem Budget sind elf Millionen Euro für Gewaltschutzeinrichtungen,  Familienberatungsstellen und Projekte mit Frauen für Migrationshintergrund vorgesehen, Ausschreibungen für die zusätzlichen Mittel seien noch im Laufen, hieß es dazu aus dem Frauenministerium zur „Presse“. Eine qualitative Untersuchung aller Tötungsdelikte an Frauen in den vergangenen zehn Jahren, sei ebenfalls derzeit in Arbeit.

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Hilfe

Wo rufe ich an, wenn mein Mann gewalttätig ist?

Wer Gewalt in der eigenen Familie ausgesetzt ist, kann sich an eine Reihe von Stellen wenden. Auch im Notfall. Beratung von Expertinnen gibt es auch online über Chat-Portale.

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