Der Aufstieg der SPD ist die faustdicke Überraschung im Wahlkampf. Die Union erwischte er am falschen Fuß: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bietet kaum Angriffsfläche. Die Konkurrenz zielt deshalb auf andere Genossen - und sie beschwört das rot-rot-grüne Schreckgespenst. Reicht das?
Berlin. „Ich schwöre, dass ich . . .“ Eine Stimme aus dem Off legt den Amtseid ab, während ein Mann mit Sakko und ohne Krawatte durch das Berliner Regierungsviertel der Gegenwart spaziert. Die Stimme gehört dem verstorbenen SPD-Kanzler Helmut Schmidt, das Sakko Olaf Scholz. Als der eine, Schmidt, „Deutschland aus der Krise führte“, stieg der andere, Scholz, „für dich in die Politik ein“, heißt es in dem neuen SPD-Wahlkampfspot. Subtext: Wie einst der Hanseat Schmidt würde auch der Hanseat Scholz die Republik mit ruhiger Hand durch die immer enger getakteten Katastrophen steuern – Flut, Corona, Afghanistan. Beide Pragmatiker. Beide erfahrene Krisenmanager. SPD-Kanzlerkandidat Scholz als Schmidt 2.0 sozusagen.
„Ich will dringend ins Kanzleramt“, bekannte Scholz im Sommer 2020. Ein frommer Wunsch, dachten amüsierte Beobachter in Berlin damals angesichts des Niedergangs der SPD. Diese Woche dann schlug eine Forsa-Umfrage ein wie eine Bombe. Zum ersten Mal seit 2006 wiesen die Meinungsforscher die SPD auf Platz eins und vor der Union aus – 23 zu 22 Prozent. In anderen Umfragen ist die SPD mit CDU/CSU immerhin gleichgezogen. Ein SPD-Kanzler, der vierte nach Willy Brandt (1969–74), Schmidt (1974–82) und Gerhard Schröder (1998–2005), rückt in den Bereich des Möglichen. Eine Überraschung, wenn auch nicht für Scholz.
Die Wette seines Teams lautete von Anfang an, dass sich die Deutschen auf der Suche nach einem Ersatz für die populäre Kanzlerin Angela Merkel spät im Wahlkampf Scholz, dem Vizekanzler, zuwenden würden. Dass die Wette vielleicht aufgeht, liegt auch an den Patzern der Konkurrenz. Viele Deutsche sprechen Armin Laschet (CDU) und der Grünen Annalena Baerbock das nötige Kanzlerformat ab.