Interview

„Viele unterschätzen die Konsequenzen der Klimaziele völlig“

APA
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Um zu verhindern, dass der Klimawandel zum Selbstläufer wird, braucht es eine Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft. Wesentlich wäre, weniger neue Gebäude und Infrastrukturen zu bauen, sagt Humanökologe Helmut Haberl von der Boku Wien im „Presse“-Gespräch.

Die Presse: Wie schwierig wird die geforderte grüne Transformation?

Helmut Haberl: Es geht um einen umfassenden Umbau der Gesellschaft und der Wirtschaft. Es gibt das Ziel der Regierung, Österreich solle bis 2040 kohlenstoffneutral werden. Das ist in Übereinstimmung mit den europäischen und den globalen Klimazielen. Das sind gewaltige Ziele, die viele Menschen völlig unterschätzen. Immerhin liefern fossile Energiequellen fast 70 Prozent der Primärenergie in Österreich.

Was ist das Hauptproblem?

Wir haben gewaltige Bestände an Gebäuden, Fabriken, Straßen und generell Infrastruktur aufgebaut, die nur funktionieren, weil wir diese fossile Energie haben und damit immer neuen Bedarf hervorrufen. Es gibt natürlich auch viele Wirtschaftszweige, die um diese Strukturen herumgebaut sind und auf diesen aufbauen. Die sind tief in die Strukturen der Gesellschaft eingeschrieben. Also wie unsere Produktion funktioniert, unsere Freizeit, unsere Schulbildung, unser Gesundheitssystem. All das setzt voraus, dass es ein automobiles Verkehrssystem gibt. Damit hängt wiederum zum Beispiel zusammen, was – auch rechtlich gesehen – von den Menschen erwartet wird, etwa wie weit sie an ihren Arbeitsplatz pendeln müssen. Das alles ist nicht so leicht loszuwerden.

Aber wir müssen es loswerden?

Natürlich, wenn wir verhindern wollen, dass bestimmte Kipppunkte, also irreversible Veränderungen wie das Auftauen des Permafrostes in Sibirien, angestoßen werden. Dann werden die bislang dort gebundenen gigantischen Mengen an CO2 und Methan freigesetzt und der Klimawandel wird zum unaufhaltbaren Selbstläufer.

Sie beschäftigen sich in dem Zusammenhang mit globalen Ressourcenflüssen. Welche Rolle spielen diese dabei?

Eine nicht unbeträchtliche. Ein immer größerer Teil der Materialien, die weltweit extrahiert werden, fließt in den Aufbau neuer Materialbestände. Zudem müssen bestehende Infrastrukturen und Gebäude erhalten werden. Zusätzlich mobilisieren vorhandene Bestände neue Ressourcenflüsse, sprich, die neue Straße führt zu mehr Autos, das neue Haus zu mehr Beleuchtung und Unterhaltungselektronik.

Wir müssen demnach „einfach“ aufhören, neue Straßen und Häuser zu bauen?

Es geht darum, den Zuwachs dieser Strukturen einzudämmen – etwa bestehende Gebäude zu ökologisieren und besser zu nutzen und das Straßennetz zurückzubauen. Wir müssen ein umweltfreundlicheres Verkehrssystem entwickeln. Mit Elektroautos allein wird man der durch den Verkehr verursachten Probleme aber nicht Herr. Wir müssen uns auch anschauen, wie die Dinge im Raum angeordnet sind und wozu wir uns fortbewegen. Die wenigsten legen diese vielen Kilometer freiwillig zurück. Es geht um soziale Teilhabe und um die Inanspruchnahme von Gütern und Services. Nur den Menschen vorzuwerfen: „Ihr fahrt zu viel Auto“, aber gleichzeitig eine Straße nach der anderen bauen, ist schizophren.

In welchem Ausmaß müssten wir unsere Materialbestände zurückbauen?

Wollte man weltweite Ungleichheiten verringern und gleichzeitig die Klimaziele erreichen, wäre ein Rückbau in den Industrieländern hilfreich. Wir haben dazu globale Szenarien bis 2050 erstellt, in denen die gigantischen Ungleichheiten bei der Verteilung der Materialbestände pro Kopf zwischen den Weltregionen reduziert werden. Unser Energie- und Treibhausgasemissionsmodell zeigt deutlich, wie sehr die Herausforderung der Dekarbonisierung von der Entwicklung der Materialbestände abhängt.

Wie sehr konkret?

Das Zwei-Grad-Erwärmungsziel könnte einfacher erreicht werden, würden sich – in einem Gedankenmodell – alle beim Niveau der Industrieländer der 1970er treffen. Ob so ein Rückbau vorstellbar ist, also ob man das in der politischen Praxis umsetzen könnte, steht auf einem anderen Blatt. Aber eine Fortsetzung der massiv voranschreitenden Flächenversiegelung ist mit den ambitionierten Klimazielen jedenfalls nicht vereinbar.

Zur Person

Helmut Haberl (56) forscht am Institut für Soziale Ökologie der Boku Wien zu Klimaschutz und gesellschaftlichem Stoffwechsel. Der mit einem Advanced Grant des EU-Forschungsrates ausgezeichnete Wissenschaftler war Mitautor des fünften Sachstandsberichts des Weltklimarates. Beim Forum Alpbach diskutierte Haberl am Donnerstag u. a. mit Komplexitätsforscher Stefan Thurner und Klimaaktivistin Katharina Rogenhofer über die grüne Transformation. [ Foto: Pilo Pichler ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2021)

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