Leitartikel

Land der Scheindebatten

Das Thema Migration polarisiert
Das Thema Migration polarisiert(c) imago images/ZUMA Wire (Diego Radames via www.imago-images.de)
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Ob auf dem ÖVP-Parteitag oder in Umfragen: Das Thema Migration zieht. Warum ÖVP (und Grüne) lieber viel über wenige reden als mehr über viele.

Eine unbeschränkte Aufnahme funktioniert nicht. Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen.“ Viel mehr musste der ÖVP-Chef am Parteitag zu Afghanistan nicht sagen. Applaus.

Wer bei den Grünen gedacht hat, dass das Thema einer christlich-sozialen Partei unangenehm wäre, hat sich verrechnet: 26 Prozent. Das ist der eher schmale Anteil der ÖVP-Wähler, die laut „Profil“ für eine Aufnahme besonders gefährdeter Menschen aus Afghanistan wären. Insofern mag die ÖVP auf Härtevorwürfe zwar pikiert reagieren, doch sie sind willkommen. Nicht nur, weil die Liste der Dinge, über die man sonst reden müsste, lang ist (etwa die Irrungen der türkisen Covid-Prognosen – beim Parteitag sprach Sebastian Kurz in der Vergangenheit: „Die Pandemie war . . .“), sondern auch, weil die Debatte derzeit bequem ist. Für Türkis wie für Grün. Man kann verbal für die eigenen Anhänger „liefern“, ohne etwas tun zu müssen. Denn so wie keiner nach Afghanistan hineinkommt (auch wenn es der ÖVP schwerfiel, das einzusehen), kommt auch kaum jemand heraus. Trotzdem ist es wichtig, wer was sagt. Denn Worte schaffen Stimmungen und Stimmungen irgendwann Fakten. Insofern ist es nicht egal, dass der Kanzler schwarz-weiß pinselt. Inhaltlich mag sich seine Position zwar nicht von der anderer Politiker unterscheiden (siehe FDP-Chef Lindner auf S. 3). Doch der Ton tut es. Da beklagt Kurz bitter eine „Polarisierung“ – doch er selbst arbeitet daran. Die unbeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen, vor der er warnt? Wer hat die gefordert? Bei einem Resettlement-Programm geht es um das Gegenteil, die Verteilung einiger Hundert besonders gefährdeter Menschen. Menschen, die man sich zudem aussuchen kann. Insofern ist auch der türkise Hinweis, dass Afghanen kriminell auffällig wären, hier falsch. Das bezieht sich statistisch auf junge Männer. Holen könnte man Frauen, Familien. Auf oe24 konterte Kurz knapp, dass es Frauen anderswo auch schlecht hätten. Das ist wahr, aber was heißt es? Nie helfen? Und es blendet die besonderen Umstände aus: Österreich war zwar in der zweiten Reihe in Afghanistan vertreten, aber ist dennoch damit Teil des „Westens“, der Verantwortung für jene trägt, die sich für westliche Werte exponiert haben.

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