Verbraucherpreise

Deutsche Inflation stieg im August auf 3,9 Prozent

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Vorübergehende Mehrwertsteuer-Senkung vor einem Jahr und seit Monaten höhere Energiepreise treiben die Inflation in Deutschland auf ein 28-Jahres-Hoch.

Die Inflation in Deutschland ist auf den höchsten Stand seit fast 28 Jahren geklettert. Waren und Dienstleistungen waren im August durchschnittlich um 3,9 Prozent teurer als im Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Montag zu seiner ersten Schätzung mitteilte. Einen stärkeren Preisauftrieb gab es zuletzt in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung - im Dezember 1993 mit damals 4,3 Prozent.

Ökonomen hatten mit dem Wert von 3,9 Prozent gerechnet, nach einem kräftigen Anziehen der Inflation auf 3,8 Prozent im Juli. In den kommenden Monaten dürfte die Inflationsrate Richtung fünf Prozent anziehen und erst 2022 wieder merklich nachgeben, schätzen Experten.

Angeheizt wird die Teuerung seit Monaten von den heuer höheren Energiepreisen. Zudem schlägt die Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung nun voll zu. Um den Konsum in der Coronakrise anzukurbeln, hatte die deutsche Regierung die Mehrwertsteuer gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie befristet vom 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 gesenkt - von 19 auf 16 Prozent bzw. von 7 auf 5 Prozent. Seit Jänner 2021 gelten wieder die regulären Mehrwertsteuersätze, Waren und Dienstleistungen werden also tendenziell wieder teuer.

Ökonomen sagten dazu in ersten Reaktionen:

Elmar Völker, LBBW: "Die deutsche Inflation folgt weiterhin ihrem Pfad nach oben, der durch Basiseffekte und andere coronabedingte Sonderfaktoren zu guten Teilen auch für die kommenden Monate vorgegeben ist und in der Spitze wohl im Herbst auf Werte klar über vier Prozent führen dürfte. Ab Anfang 2022 ebbt der Preisdruck - gemessen an der Jahresrate - aller Voraussicht nach ab, aber die spannende Frage wird sein, wie schnell und wie stark diese Abschwächung ausfällt.

Die jüngste Intensivierung des Aufwärtsdrucks bei den Produzenten- und Importpreisen könnte ein frühes Indiz dafür sein, dass erhöhte Inflationsraten letztlich auf der Konsumentenebene hartnäckiger ausfallen werden als bisher gedacht. In diesem Fall könnte die Debatte innerhalb der EZB, die einstweilen noch immer vor allem um das Risiko zu niedriger Inflation kreist, perspektivisch eine neue Richtung bekommen."

Fritzi Köhler-Geib, KfW: "Haupttreiber bleiben die Energiepreise, aber auch Lebensmittel sowie die von den Öffnungen der vergangenen Monate stark profitierenden Dienstleistungen sind für den erneuten Anstieg verantwortlich. Insbesondere bei den Lebensmitteln dürfte zudem der Mehrwertsteuer-Basiseffekt ins Gewicht fallen, da vor allem der Einzelhandel die reduzierten Sätze im vergangenen Jahr an die Verbraucher weitergegeben hatte. Ein Indiz dafür, dass der momentane Anstieg temporär bleiben dürfte, ist die Kerninflation. So sind die Preise weniger schwankungsanfälliger Güter in den letzten Monaten deutlich schwächer gestiegen als etwa Energie- und Nahrungsmittelpreise.

Daher ist die aus heutigem Blickwinkel eher zurückhaltende Prognose der EZB, ab dem Jahr 2022 und danach wieder eine Inflationsrate unterhalb des Zwei-Prozent-Ziels zu erwarten, plausibel. Sollten allerdings die Lieferengpässe in der Industrie länger als erwartet andauern, dürfte sich dies auch im Portemonnaie der Verbraucher bemerkbar machen, da die Unternehmen die höheren Kosten zumindest teilweise auf die Verbraucher überwälzen dürften. Die zuletzt stark angestiegenen Erzeugerpreise könnten ein erstes Indiz in diese Richtung sein."

Ralph Solveen, Commerzbank: "In den kommenden Monaten dürfte die Teuerungsrate noch zulegen. Ab Anfang 2022 wird sie allerdings wieder fallen. Denn einen nachhaltig stärkeren Preisauftrieb wird es erst geben, wenn auch die Löhne merklich anziehen, was bisher nicht der Fall ist."

Sebastian Dullien, IMK: "Damit dürfte im laufenden Jahr die Inflation etwas über der zu erwartenden Lohnerhöhung liegen, die das IMK auf etwa zwei Prozent schätzt. Eine Lohn- und Preisspirale, die zu dauerhaft höherer Inflation führt, ist allerdings nicht zu erwarten. Bisher lagen die Lohnforderungen trotz des Teuerungsschubs in der aktuellen Lohnrunde nicht höher als 2019 und auch damals waren die gesamtwirtschaftlichen Lohnabschlüsse am Ende nicht inflationstreibend. Es besteht also keinerlei Grund für Inflationsängste. Weil die Preissteigerungen vorübergehend sind, ergibt sich auch kein unmittelbarer Handlungsdruck für die EZB."

Michael Heise, HQ Trust: "Der Preisauftrieb hat an Breite gewonnen und wird durch Entwicklungen auf der Angebots- und Nachfrageseite verursacht. Kostensteigerungen, hohe Warennachfrage und ein deutlich zunehmender Konsum an Dienstleistungen wirken in Richtung eines höheren Preisniveaus. Die Verteuerung von Energie, die in der Erholung nach der Krise zunächst eine zentrale Rolle für den Anstieg der Inflationsraten spielte, nimmt an Bedeutung ab. Auch in den kommenden Monaten dürften steigende Warenpreise und höhere Dienstleistungspreise preistreibend wirken.

Zu Beginn des Jahres 2022 ist ein deutlicher Rückgang der Jahresinflationsrate zu erwarten, sie wird jedoch weiter deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel liegen. Die erheblichen Produktionsbehinderungen durch mangelnde Vorleistungen und lange Lieferzeiten werden in den kommenden Monaten weiterwirken, da die Ausbreitung der Delta-Variante bei wichtigen Handelspartnern insbesondere im Pazifikraum zu erneuten Einschränkungen bei Produktion und Logistik geführt hat.

Absehbar ist, dass die Verteuerung der Lebenshaltung, die vor allem untere und mittlere Einkommensgruppen betrifft, zu Ausgleichsforderungen bei den Lohnverhandlungen führen wird. Unsicherheit besteht allerdings darüber, wie stark die Zweitrundeneffekte ausfallen werden."

(APA/Reuters/dpa)

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