Bilanz

Antisemitismus: Mehr als doppelt so viele Vorfälle im ersten Halbjahr

"Auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick katastrophal wirken, sie spiegeln die Realität wieder": IKG-Präsident Oskar Deutsch.
"Auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick katastrophal wirken, sie spiegeln die Realität wieder": IKG-Präsident Oskar Deutsch.(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Von Jänner bis Juni wurden 562 antisemitische Übergriffe registriert, im Vergleichszeitraum 2020 waren es 257. Zurückzuführen ist der Anstieg großteils auf die Coronapandemie und den Nahostkonflikt.

Die Zahl der gemeldeten antisemitischen Übergriffe hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Das zeigt die Bilanz der in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) eingerichteten Meldestelle des ersten Halbjahres. Demnach wurden von Jänner bis Juni 562 Vorfälle jeglicher Art registriert, im Vergleichszeitraum 2020 waren es 257. Die Hintergründe waren zu einem großen Teil Corona-Pandemie und Nahostkonflikt.

Mehr als die Hälfte der gemeldeten antisemitischen Vorfälle, konkret 331, bezogen sich auf "verletzendes Verhalten", also etwa Beleidigungen. 154 Mal wurden sogenannte Massenzuschriften registriert, worunter etwa Postings im Internet mit antisemitischen Inhalten zu rechnen sind. Von der Meldestelle aufgenommen wurden auch 58 Fälle von Sachbeschädigung, wie etwa antisemitische Schmierereien und Graffitis. Dazu kommen elf Bedrohungen und acht tatsächliche physische Angriffe.

Die größte Anzahl der Vorfälle (244) kam im ersten Halbjahr von politisch rechts motivierten Tätern, dem gegenüber stehen 71 Vorfälle, die von muslimischer Seite ausgingen. Dennoch zeigt sich, dass von der zweiten Gruppe die intensiveren Übergriffe ausgingen. Bei 100 Fällen wird davon ausgegangen, dass diese politisch links motiviert waren. 147 Übergriffe waren nicht eindeutig zuordenbar.

Weiter eine große Rolle bei antisemitischen Übergriffen spielte im ersten Halbjahr 2021 die Coronapandemie, mit der bekanntlich antisemitische Verschwörungstheorien einhergehen. Insgesamt 126 Fälle hatten Bezug zur Krise. Aber auch die Entwicklung im Nahen Osten führte speziell im Mai zu einem deutlichen Anstieg der Meldungen zu israelbezogenem Antisemitismus bzw. Shoah-Leugnungen.

„Zahlen spiegeln die Realität wieder"

"Auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick katastrophal wirken, sie spiegeln die Realität wieder", kommentierte IKG-Präsident Oskar Deutsch die jüngsten Daten. Israelbezogener Antisemitismus und Verschwörungsmythen sowie Shoah-Verharmlosung im Zuge der Corona-Pandemie müssten gesamtgesellschaftlich bekämpft werden. "Wenn wir Antisemitismus nicht dort bekämpfen, wo er in Worten daherkommt - in der Straßenbahn, in der Schule, im Stadion oder auf Facebook - dann können schnell aus Worten Taten werden. Deshalb begünstigt eine Verharmlosung von Antisemitismus ebendiesen", so Deutsch.

Antisemitismus richte sich nicht nur gegen Juden, wie auch einige der jüngsten Fälle zeigen, merkte Deutsch außerdem an. Besonders wichtig sei festzuhalten, dass der Schutz jüdischer Einrichtungen wie Synagogen und Schulen durch Polizei, Bundesheer und die IKG-Sicherheitsabteilung auf sehr hohem Niveau gewährleistet sei. "Diese Sicherheitszusammenarbeit funktioniert nicht überall in Europa so vorbildlich."

Der Kampf gegen jede Form von Antisemitismus sei "Teil einer gewachsenen österreichischen Identität und der historischen Verantwortung unserer Landes", so Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion auf die Zahlen. Auch Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zeigte sich besorgt. Jeder einzelne der 562 Vorfälle sei einer zu viel. Sie verwies auf die Stabstelle für den Kampf gegen Antisemitismus im Bundeskanzleramt.

„Dringender Handlungsbedarf“ im Kampf gegen Antisemitismus

"Die heute präsentierten Zahlen zu antisemitischen Vorfällen im ersten Halbjahr sind alarmierend hoch und ein dringender Handlungsauftrag", reagierte die SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz via Aussendung. Sie forderte, rasch den Nationalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus umzusetzen. "Alarmiert und beschämt" zeigte sich die Neos-Sprecherin für Inneres, Stephanie Krisper: "Dass wir als Gesellschaft in Österreich immer noch derart mit Antisemitismus zu kämpfen haben, ist eine Schande."

Umfassenden Maßnahmen, wie sie in der Antisemitismusstrategie definiert sind, forderte auch die Kultursprecherin der Grünen, Eva Blimlinger. Insbesondere "militante Impfgegnerinnen und Impfgegner" bemühten immer wieder antisemitische Erzählungen, reagierte sie auf die aktuellen Zahlen. Umso wichtiger sei es, dass das zuständige Bundeskanzleramt sofort mit spezifisch entwickelten Maßnahmen beginnt. Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) stellte via Twitter fest, dass die Umsetzung der nationale Strategie ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung des Antisemitismus sei. "Erst wenn Jüdinnen und Juden in Österreich frei von Angst leben können, ist Zusammenhalt und ein gutes Zusammenleben möglich", konstatierte er.

Die FPÖ sieht die Regierungspartei ÖVP verantwortlich für steigenden Antisemitismus und Rassismus, wie deren Generalsekretär Michael Schnedlitz in einer Aussendung befand. Als Grund für den seiner Meinung nach "importierten Antisemitismus" sieht er eine "verfehlte Zuwanderungspolitik aus dem islamischen Raum".

(APA)

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