Replik

Keine Sorge, Kameraden: Es sind nicht alle links!

Peter Kufner
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Ich frage mich ehrlich: Wie weit rechts muss man stehen, um die gesamte heimische Medienlandschaft als „linkslastig“ zu bezeichnen?

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Alle paar Monate erscheint irgendwo ein Kommentar, der offenbar aus einem Parallel-Universum stammt, in dem die Koordinaten zu unserer Realität um einige Kilometer verschoben sind.
Diese Woche war es der „Presse“-Gastkommentar von Andreas Kirschhofer-Bozenhardt, der in der durchgehend „linkslastigen“ heimischen Medienlandschaft „keinen Meinungspluralismus“ findet und für „konservativ-liberale“ Österreicher und ihre politischen Ansichten „keinen sicheren Hafen“.

Eine Frage des Standorts

Ich bin in dieser heimischen Medienlandschaft nun schon 36 Jahre lang tätig, und ich frage mich ehrlich, wie weit rechts man politisch stehen muss, um die „Kronen Zeitung“, oe24, „Heute“, den „Kurier“, „Die Presse“, die „NÖN“, die „OÖN“, die „SN“, die „Tiroler Tageszeitung“, die „Vorarlberger Nachrichten“ und die „Kleine Zeitung“ für „links“ zu halten. Möglich ist es natürlich, vom südlichen Polarkreis aus gesehen liegen Südamerika, Afrika und Australien schließlich auch im Norden. Es sagt halt mehr über den Standort als über die Geografie.
Vielleicht sollte man zur näheren Verortung aber doch wissen, dass Kirschhofer-Bozenhardt nicht nur pensionierter Meinungsforscher ist, sondern auch Gestalter des „Attersee-Reports“, herausgegeben vom Freiheitlichen Arbeitskreis Attersee, mit dem er „die freiheitliche Politik vergeistigen“ will und gegen „Gesinnungsdruck“ und „links-grünes Gedankengut“ kämpft, wie er den linken „OÖN“ offenbart hat.
Eine ganz besondere Obsession scheint der Autor – neben einer Neigung zum ausgeleierten Namenswitz – für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verspüren. In meinem „ZiB 2“-Interview mit dem künftigen ORF-Generaldirektor Roland Weißmann am Abend nach seiner Bestellung sieht er „eine Kriegserklärung des Moderators gegen seinen neuen Chef und dessen politischen Hintergrund“, ein „Tribunal“; über der Sendung schwebte – kein Scherz, das stand da wirklich – „ein Hauch des Jüngsten Gerichts“.

Wrabetz auch vor „Tribunal“?

Tatsächlich habe ich Roland Weißmann im Jahr 2021 dieselben Fragen gestellt wie seinem Vorgänger Alexander Wrabetz nach dessen erster Wahl 2006: Was er denn besser könne als seine Mitbewerber? Wie er – als einstiger Vorsitzender des VSStÖ und bestellt von einer Anti-Regierungskoalition im Stiftungsrat – glaubwürdig die Unabhängigkeit des ORF garantieren wolle? Welche Zugeständnisse er seinen politischen Förderern für ihre Unterstützung machen musste? Die Erregung Kirschhofer-Bozenhardts über „Kriegserklärung“, „Tribunal“ und „Jüngstes Gericht“ muss ich damals überlesen haben, möglicherweise wurde sie auch nie geschrieben.
Nein, meine Fragen an den künftigen ORF-Chef waren keine „Kampfansage des linksliberalen Mainstreams gegen eine als machtgierig und reaktionär verteufelte bürgerliche Lebenswelt“, wie der offenbar zutiefst verletzte, aber fantasiebegabte Gastkommentator vermutet. Meine Fragen und die breite mediale Kritik an der jüngsten ORF-Wahl richteten sich vielmehr gegen die weithin berichteten politischen Absprachen im Hinter- und Vordergrund – in einem öffentlich-rechtlichen Sender, dessen politische Unabhängigkeit seit fast fünfzig Jahren in einem eigenen Verfassungsgesetz festgeschrieben steht.

Protestvideo noch online

Nicht nur diesmal, sondern seit Jahrzehnten wehren sich ORF-Redakteurinnen und -Redakteure regelmäßig und laut gegen politische Einmischungen – egal, von welcher ideologischen Seite sie kommen, und jederzeit nachzulesen in den Presseerklärungen des Redakteursrats. Oder nachzusehen im berühmt gewordenen Protestvideo gegen ein Engagement des jungen SPÖ-„Freundeskreis“-Leiters als Bürochef in der ORF-Generaldirektion. Rund 800.000 Menschen haben dieses Video auf YouTube damals gesehen, aber Kirschhofer-Bozenhardt war wohl im nimmermüden Abwehrkampf gegen „links-grünes Gedankengut“ zu sehr unter Druck, um es zu registrieren. (Kleiner Hinweis: Es ist noch online.)
Und die bekannt links-grün-versiffte „Presse“-Redaktion war dieser Tage wahrscheinlich zu sehr mit ihrem „politisch opportunen moralischen Rigorismus“ beschäftigt, um den Gastkommentar vor dem Abdruck zu redigieren. Dessen Furor ist jedenfalls seiner Faktentreue weit überlegen.

Aber Journalismus ist ja auch Dienstleistung, deshalb liefere ich die notwendigsten Korrekturen gern nach:
Nein, der ORF als größter Genossenschafter der Austria Presse Agentur sucht nicht deren Journalistinnen und Journalisten aus, und schon gar nicht hat der ORF „bestimmenden Einfluss“ auf die APA-„Nachrichtengebung“. Deren „augenscheinliche Linksneigung“ dürfte außer Kirschhofer-Botzenhardt auch noch nicht sehr vielen Menschen aufgefallen sein. (Erklärung: Südpolarkreis – Norden. Fast alle Menschen leben nördlich vom südlichen Polarkreis.)
Für die „empirisch gut belegte Linkslastigkeit unserer Medienlandschaft“ bleibt der Autor leider die empirischen Belege ebenso schuldig wie die Quellen der zitierten Zahlen. Und für die „rational nicht erklärbare“ angebliche „Unterwerfung“ des Gegenwartsjournalismus unter die „Wortführer im ORF“ – eine, höflich formuliert, recht steile These – fehlt überhaupt jegliches realitätsnahe Argument.

Der Presserat, die „graue Eminenz“ des österreichischen Journalismus, hat noch nie (!) in seiner Geschichte ein Medium verurteilt, weil es die „ethnische Herkunft“ eines Straftäters nannte. Der Presserat mahnt nur grundsätzlich und unter Verweis auf den Ehrenkodex der österreichischen Presse, dass verantwortungsvoller Journalismus berücksichtigen sollte, ob die Herkunft mutmaßlicher Täter für das Verständnis des jeweiligen Falls erforderlich ist. Doch selbst von Kinderschändern und Vergewaltigern erfahre „der Leser in der Regel nicht viel mehr als die Zahl seiner Jahre“, behauptet Kirschhofer-Bozenhardt forsch und ohne jede Rücksicht auf die tägliche Realität in den Chronikseiten.

Meinung und Fakten

„Sie haben jedes Recht auf Ihre eigene Meinung, aber kein Recht auf Ihre eigenen Fakten“, hat der verstorbene US-Senator Patrick Moynihan gesagt. Und selbst Meinungen werden deutlich interessanter, wenn sie auf belastbaren Fakten beruhen.
Falls Kirschhofer-Bozenhardt jedoch allen Ernstes in den heimischen Qualitätsmedien vom „Falter“ bis zur „Presse“ – und selbst in den Boulevardzeitungen – den „notwendigen Meinungspluralismus“ vermissen sollte, kann er vom Südpolarkreis aus ja noch die Antarktis erkunden: Dort ist es landschaftlich recht eintönig, aber vom Wochenkommentar auf ServusTV über exxpress, „Wochenblick“, Unzensuriert und „Info-Direkt“ bis zum Blog eines ehemaligen „Presse“-Chefredakteurs wird er genügend „sichere Häfen“ finden, in denen er „mit der Verteidigung seiner politischen Ansichten rechnen“ kann. Auch gegen eingebildete Feinde.

Armin Wolf (*1966) ist promovierter Politologe und arbeitet seit 1985 für den ORF, derzeit als „ZiB 2“-Moderator und stv. Chefredakteur von ORF2. 2020 wurde er als Österreichischer Journalist des Jahres ausgezeichnet und 2019 als Europäischer Journalist des Jahres. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
Armin Wolf (*1966) ist promovierter Politologe und arbeitet seit 1985 für den ORF, derzeit als „ZiB 2“-Moderator und stv. Chefredakteur von ORF2. 2020 wurde er als Österreichischer Journalist des Jahres ausgezeichnet und 2019 als Europäischer Journalist des Jahres. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder. Karl Michalski

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