Die FPÖ spricht von einer „widerlichen Hatz auf Arbeitslose“, die SPÖ von einem „türkis-grünen Raubbau am Sozialstaat“. Die ÖVP will in einen „breit angelegten Dialog“ eintreten.
Die von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) am gestrigen Mittwoch angestoßene Diskussion über eine Reform des Arbeitslosengeldes lässt weiter die Wogen hochgehen. ÖGB-Chef Wolfgang Katzian warnte heute die Regierung vor dem Aufbau eines Billiglohnsektors durch die Hintertür und wehrte sich dagegen, dass zu den Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose "Legenden verzapft werden". Einem Ende des Zuverdienstes, wie sie auch Arbeitsmarktservice-Vorstand Johannes Kopf in den Raum gestellt hatte, erteilte Katzian heute im "Ö1-Morgenjournal" eine klare Absage.
Katzian verwies auf eine Sora-Studie im Auftrag der AK OÖ, wonach neun von zehn Arbeitslosen unter der Armutsgefährdungsschwelle leben. "Also wer sagt, die haben einen Lenz, denen geht's gut, der lebt am Mond", betonte der Gewerkschaftsboss. Es könne nicht sein, dass bei der Vermittlung von Arbeitslosen die Qualifikation nicht mehr zähle. "Das ist nicht Österreich, das ist nicht unser Sozialstaat", sagte Katzian.
Degressives Arbeitslosengeld?
Zu einem degressiven Modell - also zuerst mehr, dann weniger Arbeitslosengeld - fehlt Katzian, wo das "zuerst mehr" und dann das "weniger" angesiedelt ist. Die Forderung der Gewerkschaft: Eine anfängliche Nettoersatzrate von 70 Prozent. Weniger als die aktuell geltenden 55 Prozent werde es mit ihm, Katzian, und der Gewerkschaftsbewegung allerdings nicht geben.
Die industrienahe Agenda Austria wiederum sprach sich heute für ein degressives Arbeitslosenmodell aus: Das Arbeitslosengeld sollte in den ersten 17 Wochen von derzeit 55 Prozent des Netto-Letztverdienstes auf 65 Prozent erhöht und dann schrittweise abgesenkt werden. So sollte die Nettoersatzrate in den nächsten 18 Wochen auf dem Niveau von 55 Prozent verharren und nach einer Gesamtbezugsdauer von 35 Wochen dann auf 45 Prozent absinken.
Der designierte Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) Gabriel Felbermayr sprach sich für ein degressives Arbeitslosengeld aus. Am Anfang könnten 75 Prozent des letzten Nettoverdienstes ausbezahlt werden. Dann solle der Wert absinken, sagte er Felbermayr in der ORF-"ZiB1" am Donnerstagabend.
Auch der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat sich in der heutigen Ausgabe der "Vorarlberger Nachrichten" noch einmal für ein degressives Arbeitslosenmodell ausgesprochen. Einer allgemeinen Erhöhung des Arbeitslosengeldes erteilte er eine Absage. Zuverdienstmöglichkeiten in der Arbeitslosigkeit steht Wallner skeptisch gegenüber. Er ist damit auf Linie mit dem ÖVP-Wirtschaftsbund, der als Eckpfeiler einer Reform ein degressives Arbeitslosengeld, "Anreize" für einen Ortswechsel und die Streichung der Zuverdienstgrenze von 475 Euro fordert.
FPÖ spricht von „widerlichen Hatz auf Arbeitslose"
Klare Worte zur aktuellen Diskussion fand FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch: "Ich erteile den neoliberalen, menschenfeindlichen Plänen der ÖVP eine klare Abfuhr. (...) Die Hatz auf Arbeitslose ist einfach nur widerlich."
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch warnte vor einem "türkis-grünen Raubbau am Sozialstaat". "ÖVP-Granden und türkise Großspender aus Industrie und Wirtschaft wollen die Krise offenbar nutzen, um Lohndumping zu betreiben und einen Billiglohnsektor in Österreich zu etablieren", kritisierte Deutsch.
Versöhnlicher gab sich ÖVP-Klubobmann August Wöginger: "Es ist wichtig und richtig, die Arbeitslosenversicherungsreform jetzt anzugehen. Wir treten ganz bewusst in einen breit angelegten Dialog mit vielen Expertinnen und Experten und den Sozialpartnern, um die bestmögliche Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung zu erzielen."
(APA/red)