Talk auf der Alm

Das Wort „selbst“ spielt eine große Rolle

Die Teilnehmer des "Talk auf der Alm" mussten in diesem Jahr im Regen von Alpach auf die Zirmalm wandern.
Die Teilnehmer des "Talk auf der Alm" mussten in diesem Jahr im Regen von Alpach auf die Zirmalm wandern.Christian Hohlrieder
  • Drucken

Was muss die Future Workforce, gemeint sind die künftigen Mitarbeitenden, mitbringen? Wie sehen die Erwartungen der Unternehmen aus? Und was bedeutet das für Führung? Darüber wurde auf der Zirmalm diskutiert.

Der "Talk auf der Alm", den die "Presse" im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach veranstaltet, hat mittlerweile Tradition.
Der "Talk auf der Alm", den die "Presse" im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach veranstaltet, hat mittlerweile Tradition.Christian Hohlrieder

Es überrascht nicht, dass die Antwort „eierlegende Wollmilchsau“ lautet, fragt man Unternehmer, wie die Future Workforce, also die Mitarbeitenden von morgen, sein sollte. Man könnte auch sagen: genügsame, vor Ideen sprühende Tausendsassa, die anpacken. Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung bei JTI Austria, wurde beim „Talk auf der Alm“, zu dem die „Presse“ im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach geladen hatte, aber konkret: „Ihre Eigenschaften haben sehr viel mit dem Wörtchen ,selbst‘ zu tun: selbstständig, selbstbewusst, selbstorganisiert, selbstvermarktend, Dinge selbst in die Hand nehmend.“ Vorausgesetzt werden Flexibilität und Agilität, ein unternehmerischer Zugang und natürlich auch hybrides Arbeiten. Abhängig davon, in welchem Bereich sie tätig sind.

Lebenszeit, das wichtigste Gut

Eine Fülle an Anforderungen stellen umgekehrt auch die heranrückenden Mitarbeitenden an die Unternehmen. „Die neue Generation erwartet sich Verantwortung und meint Freiheit“, sagte Christiane Bertolini, Fondatrice der Denkwerkstatt DNA.club. Das seien (scheinbar) zwei sehr unterschiedliche Dinge: „Den Rahmen dafür zu geben ist eine große Aufgabe von zukunftsfähiger Führung.“ Was diese Generation ebenfalls verlangt, sind Transparenz und die permanente Möglichkeit, etwas Sinnstiftendes beitragen zu können. „Sie agieren stärker aus einem ,Wir-Gedanken‘ heraus und sind weniger auf dem Egotrip.“

Und noch etwas: Sie denken weniger stark in Begrenzungen. Wenn sie auch nicht Vollzeit für nur ein Unternehmen tätig sind, so verstehen sie sich in der übrigen Zeit, in der sie an anderen Dingen arbeiten, trotzdem als Botschafter. „Sie denken sehr fluid, was es ihnen ermöglicht, für mehrere Unternehmen und Projekte gleichzeitig zu arbeiten.“

Es gebe eine Ambivalenz von Zugehörigkeit und (örtlicher und zeitlicher) Abgrenzung, sagt auch Personalexpertin Barbara Covarrubias Venegas, die unter anderem an der FH Wien der WKW forscht und lehrt. Das heißt, bei aller Identifikation mit dem Unternehmen ist es der nachrückenden Generation wichtig, zu bestimmten Zeiten nicht erreichbar zu sein. Etwas, wie sie sagte, „mit dem Führungskräfte aus anderen Generationen zu kämpfen haben“. Lebenszeit sei für die Future Workforce eben das wertvollste Gut.

Hohe Ansprüche auf beiden Seiten also, die sich nicht immer in Deckung bringen lassen. Entscheidend sei, sagte Oliver Suchocki, Associate Partner im Bereich People Advisory Services bei Ernst Young Österreich, die Persönlichkeit. „Der geschriebene Lebenslauf ist eine Betrachtung der Vergangenheit. Wir müssen die Zukunft der Menschen anschauen.“

In der Praxis gibt es zum Teil erhebliche Probleme, Stellen zu besetzen, „da muss man Abstriche machen“, lautete der Tenor in der Diskussion mit den Gästen, die von Alpbach auf die Zirmalm in Inneralpbach gewandert waren. Zum Teil, speziell in der Pflege und im Tourismus, sei man geradezu gezwungen, Leute einzustellen, die man „normalerweise nicht nehmen würde“. Das führe dazu, dass Unternehmen – auch jenseits der Lehre – verstärkt Ausbildungsaufgaben übernehmen müssen. Es nütze nichts, sich über die Ausbildung der (Hoch-)Schulen zu beschweren, man müsse handeln.

Über die Diskussion der Gegensätze dürfe man nicht übersehen, dass etwa das hybride Arbeiten etwas ist, das unabhängig vom Alter von vielen geschätzt wird. Die zeitliche und örtliche Ungebundenheit führe mittlerweile dazu, dass es einen Rechtfertigungsdruck gebe, wenn man Mitarbeitende an den Arbeitsplatz im Büro zurückholt. Speziell bei Positionen (Stichwort: Assistenz), bei denen vor Corona eine Remote-Antwort unvorstellbar war.

Binden schwieriger als finden

Hybrides Arbeiten führe mitunter dazu, dass Leute abspringen, sie zu binden sei oft schwieriger, als sie zu finden. Zudem könne, gesamtwirtschaftlich gesehen, die überwiegende Zahl der Beschäftigten gar nicht hybrid arbeiten, weil ihr Job an einen speziellen Ort gebunden ist. Diese Diskrepanz könne zu einem Problem werden.

Das von vielen geschätzte hybride Arbeiten hat einen weiteren Nachteil. Vor allem für Frauen. Denn nach wie vor entscheide sich zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, wie die Karriere verlaufen wird. Das ist genau die Zeit, in der der Großteil der Frauen ihr erstes Kind zur Welt bringt – und sie aus diesem Grund nur eingeschränkt präsent sein können. Der „Proximity Bias“ spielt dabei gegen sie: Wer (gefühlt) im Büro anwesend ist oder bei Videokonferenzen oft auf dem Bildschirm zu sehen ist, bleibt Führungskräften in Erinnerung – und hat damit bessere Karrierechancen.

Transformation braucht Zeit

Die Transformationen, die aktuell in den Unternehmen vor sich gehen – bedingt durch die Coronapandemie, die Notwendigkeit zu digitalisieren, die höhere Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsthemen oder weil sich Geschäftsmodelle verändern (müssen), um nur einige zu nennen –, verlangen Führungskräften wie Mitarbeitenden jede Menge ab. „Viele glauben, dass alles sofort umgestellt werden muss. Doch: Veränderung braucht Zeit“, sagte Suchocki. Und er warnt: „Vorsicht beim Einführen von neuen Dingen. Man kann nicht immer nur etwas drauflegen, man muss auch was weglassen. Sonst werden Organisation und Mitarbeitende überfordert – das ist kontraproduktiv.“

Vorsicht ist auch geboten, bei den Transformationen nur an die künftigen Mitarbeitenden zu denken, warnte Lothert: Die große Herausforderung sei, die bestehenden Mitarbeitenden, die in aller Regel das Gros der Belegschaft bilden, zum Mitmachen einzuladen. Ihnen auch klarzumachen, dass bei Veränderungen Fehler passieren und dass das normal sei.

Abgesehen davon, dass es zwar meist Zeitpläne für Transformationsvorhaben gebe, Veränderung aber ein permanenter Vorgang sei, brauche Transformation noch etwas, erzählt Suchocki aus der Praxis: Er wurde gefragt, wie viele Ressourcen ein Unternehmen für die gewünschte Transformation zur Verfügung stellen müsse. Die Antwort: alle. „Das ist eine Frage, die sich viele nicht stellen.“ Wer beispielsweise agile Methoden auch nur in einem Unternehmensbereich einführe, erlebe Rückkopplungen in der gesamten Organisation. „Denn es werden plötzlich Fragen gestellt, die zuvor noch nie gestellt wurden, und Themen aufgegriffen, mit denen sich zuvor noch niemand beschäftigt hat“, sagte Suchocki.

Miteinander reden

Damit umzugehen müssen auch die Führungskräfte erlernen. Für Bertolini ergeben sich daraus zwei zentrale Führungsaufgaben. Erstens Ordinary Leadership für die alltäglichen Aufgaben und zweitens Liminal Leadership, um Impulse zu geben, mit Geschichten von Veränderung die Geschichte neu zu schreiben. Beides zu schaffen sei für eine einzelne Person mitunter unmöglich und brauche zwei: einen Häuptling und einen Medizinmann. Doch die Praxis steht dem Twinning, also der gemeinsamen Führung, recht reserviert gegenüber.

Dabei zeigten auch Covarrubias Venegas' Untersuchungen: Führungskräfte investieren allerhöchstens 30 Prozent ihrer Arbeitszeit in Führung. „Dabei wird das direkte Gespräch 1:1 noch wichtiger, wenn hybrides Arbeiten angesagt ist.“ Überhaupt seien miteinander zu reden und (implizite) Erwartungen auszusprechen (etwa: Wie schnell muss auf ein E-Mail reagiert werden?) die besten Instrumente.

Insgesamt würden die in der Vergangenheit als Soft Skills (etwa Kommunikation) gehandelten Kompetenzen mittlerweile Hard Skills sein. Doch gerade um sie umzusetzen, brauchten Führungskräfte mehr Zeit, die sie aber nicht bekommen. Wer durchgetaktet ist, kann nicht führen. Und sich auch nicht selbst führen. Denn eines steht fest: Auch Führungskräfte sind Mitarbeitende.

Österreich mehr zutrauen

Ach ja, eines wurde beim „Talk auf der Alm“ auch klar. Es gibt in Österreich schon Unternehmen, in denen das angesprochene „Selbst“ gelebt wird. Man dürfe Österreich in dieser Hinsicht aber durchaus noch mehr zutrauen.

Unterschiedliche Vorstellungen

Was sich Unternehmen wünschen – sehr exemplarisch und für die Praxis wahrscheinlich viel zu hoch gegriffen und damit von einer Person wohl kaum zu erfüllen:
► Mitarbeitende sollten selbstständig, selbstbewusst, selbstorganisiert, selbstvermarktend sein, Dinge selbst in die Hand nehmen. Sie leben
► Flexibilität und
► Agilität. Sie leben einen
► unternehmerischen Zugang. Und
► hybrides Arbeiten mit der Bereitschaft, wahlweise im Home-Office, im Office-Office oder mobil zu arbeiten, ist für sie selbstverständlich.

Was sich Mitarbeitende wünschen – ebenfalls in der Maximalvariante:
► Die neue Generation erwartet sich Verantwortung und meint damit in der Denkweise älterer Führungskräfte Freiheit (zu entscheiden oder nicht zu entscheiden und sich die Arbeit selbst einzuteilen). Sie verlangt maximale
► Transparenz des Unternehmens und permanent die Möglichkeit, etwas
► Sinnstiftendes beitragen zu können. Sie agiert stärker aus einem
► „Wir-Gedanken“ heraus und ist weniger auf dem Egotrip. Und sie denkt weniger stark in
► Begrenzungen. Sie denkt fluid.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 4. September 2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.