Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt

Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.

Der ökonomische Blick

Klimaneutralität ist eine Chance für Europa

E-Auto-Tankstelle
Batterieelektrische und Wasserstoff-betriebene Fahrzeuge sollen in Zukunft unsere Straßen befahren. Kaufen werden sie die Menschen nur dann, wenn man sie auch laden oder betanken kann – und zwar überall in Europa.APA/AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLD
  • Drucken
  • Kommentieren

Mit dem European Green Deal wurde 2019 eine radikale Reformagenda angekündigt. Die Transformation birgt neben großen Herausforderungen auch große industriepolitische Chancen.

Bereits vor der Corona-Krise hatte sich ein Paradigmenwechsel in der Energie- und Klimapolitik abgezeichnet. Ausgelöst durch die Fridays-for-Future-Bewegung, immer offensichtlichere Klimarisiken und verstärkt durch den technologischen Fortschritt trat das Ziel der Klimaneutralität in der EU in den Mittelpunkt. Mit dem European Green Deal wurde 2019 eine radikale Reformagenda angekündigt. Das Fit-for-55-Paket der Europäischen Kommission hat nun Vorschläge vorgelegt, um das neue, ambitioniertere Klimaschutzziel für 2030 zu erreichen – die Senkung der Treibhausgasemissionen um 55 % statt bisher 40 % gegenüber dem Stand von 1990.

Klar ist: Die Transformation wird alle Bereiche unserer Wirtschaft fundamental verändern. Sie wird die Schließung von Unternehmen oder Unternehmensbereichen mit sich bringen, weil Geschäftsfelder auf der Basis fossiler Energieträger keine Zukunft mehr haben – zum Beispiel in der Automobil- und Zulieferindustrie oder in der Chemieindustrie. Gleichzeitig läutet der Green Deal den Wettbewerb um neue Zukunfts- und Innovationsmärkte ein. Die Transformation birgt daher neben den Herausforderungen auch große industriepolitische Chancen. Für Unternehmen eröffnen sich neue Geschäftsfelder, etwa im Bereich klimafreundlicher Fahrzeuge oder KI-basierter Lösungen für nachhaltigen Pflanzenschutz. Der Investitionsbedarf für die anstehende Transformation ist immens. Die Europäische Kommission schätzt allein den (privaten und öffentlichen) Investitionsbedarf im Zusammenhang mit dem Green Deal auf 2,6 Billionen Euro in diesem Jahrzehnt.

Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

>>> Alle bisherigen Beiträge

Die Corona-Konjunkturpakete und der europäische Wiederaufbaufonds ermöglichen es, umfangreiche öffentliche Investitionen zu tätigen. Zentral für den Klimaschutz ist der rasche Ausbau der Energie-Netze sowie der Infrastruktur für die klimaneutrale Mobilität. Batterieelektrische und Wasserstoff-betriebene Fahrzeuge sollen in Zukunft unsere Straßen befahren. Kaufen werden sie die Menschen nur dann, wenn man sie auch laden oder betanken kann – und zwar überall in Europa. Notwendig sind auch Investitionen in die digitale Infrastruktur, Forschung und die Ausbildung der Fachkräfte der Zukunft.

Zukunftsfähige Geschäftsmodelle

Die intensiven Diskussionen um öffentliche Investitionen oder Förderung dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen: Privatwirtschaftliche Investitionen müssen die tragende Säule der Transformation sein. Wir brauchen den technologischen Fortschritt, das Engagement und die Innovationskraft der Unternehmen sowie den Wettbewerb um die besten Lösungen, um Europa zur Impulsgeberin für nachhaltiges Wachstum weltweit zu machen. In einer Welt, in der die großen Industrienationen Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein wollen, ist langfristiger wirtschaftlicher Erfolg nur mit Geschäftsmodellen erreichbar, die auf dieses Ziel einzahlen. Daher drängt die Wirtschaft zunehmend auf Rahmenbedingungen, die zukunftsfähige Geschäftsmodelle für Investoren schon heute erkennbar und attraktiver machen als solche, die auf kurzfristige Renditen abzielen.

Es ist daher zu begrüßen, dass die Europäische Kommission mit ihrem Fit-for-55-Paket auf die Stärkung des Emissionshandels setzt, einerseits durch die umfassende Kürzung der erlaubten Emissionen im bestehenden Emissionshandelssystem für die Stromerzeugung und die energieintensive Industrie, andererseits durch den Aufbau eines neuen Emissionshandels für die Sektoren Verkehr und Gebäude. Die daraus resultierenden höheren CO2-Preise und die damit einhergehenden Anreize für klimafreundliches Wirtschaften werden weitreichende Auswirkungen in allen Sektoren haben.

Die Frage von Verteilungseffekten wird durch den zweiten Emissionshandel für Verkehr und Gebäude eine ganz neue Dimension erhalten. Im Rahmen des Fit-for-55-Pakets soll der neue Social Climate Fund soziale Härten abfedern. Idealerweise sollten die Mitgliedsstaaten dadurch die Möglichkeit bekommen, individuelle Konzepte des sozialen Ausgleichs umzusetzen. In Deutschland gilt es beispielsweise, hohe Abgaben und Umlagen in der Strombepreisung zu reduzieren. Darüber hinaus sollten generell direkte und indirekte Subventionen fossiler Energien beseitigt, das Finanzierungsökosystem neu ausrichtet – und vor allem globale Allianzen im Klimaschutz vorangebracht werden.

Wir kommen im globalen Klimaschutz nicht voran, wenn wir in nationalen Dimensionen denken. Klimaschutz in den Mitgliedstaaten der EU muss immer in eine europäische Strategie eingebettet sein. Gemeinsam müssen die Mitgliedstaaten ihre Stärken bündeln. Während in Deutschland beispielsweise die Industrie über eine hohe Technologiekompetenz verfügt, um perspektivisch Schlüsselkomponenten für eine zukünftige klimaneutrale Wirtschaft zu entwickeln und zu exportieren, verfügen andere europäische Staaten über hervorragende Bedingungen für erneuerbare Energien oder über Infrastrukturen, die perspektivisch den Import erneuerbarer Energieträger aus aller Welt erlauben. Von einer verstärkten europäischen Kooperation im Zuge der Transformation profitieren alle Mitgliedsstaaten und auch der europäische Zusammenhalt.

Globale Zusammenhänge

Alle europäischen Bemühungen um Klimaschutz müssen globale Zusammenhänge in den Blick nehmen – schon weil die EU-Mitgliedstaaten lediglich 9% der globalen Emissionen verantworten, China 30% und die USA 15%. Hinzu kommt: In den Entwicklungs- und Schwellenländern wird der Energieverbrauch in Zukunft ansteigen. Schon früh muss daher Sorge dafür getragen werden, technologische Optionen für das klimaneutrale Wirtschaften zu entwickeln, sodass sie baldmöglichst weltweit zur Verfügung stehen.

Eine zentrale Rolle im globalen Gefüge wird zudem schon zeitnah dem Hochlauf des Handels klimaneutraler Energieträger zukommen. Globale Energieabhängigkeiten waren schon immer Treiber geopolitischer Entwicklungen und werden es auch in Zukunft sein. Die EU importiert heute die Hälfte ihres Primärenergiebedarfs in Form fossiler Energieträger. Eine Umstellung auf klimaneutrale Energieträger birgt Chancen. Anders als früher gibt zukünftig nicht die Geologie vor, von wem wir Öl und Gas kaufen. Vielmehr können wir emissionsarmen Wasserstoff aus vielen Ländern mit guten Bedingungen für erneuerbare Energien importieren, in Form von grünem Wasserstoff, der dort aus erneuerbaren Energien erzeugt und dann nach Europa transportiert wird.

Der Streifzug durch die vielen Facetten der Transformation im kommenden Jahrzehnt zeigt: Anspruchsvolle und herausfordernde Aufgaben stehen Europa bevor, bei denen das Zusammenspiel von Kooperation und Wettbewerb im internationalen Kontext eine zentrale Rolle spielen muss. Der Wille zur Veränderung, Mut zum Risiko aber auch ein gesunder Pragmatismus und Zusammenhalt sind gefragt in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Autorin

Veronika Grimm ist Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftstheorie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie leitet den Forschungsbereich Energiemarktdesign am Energie Campus Nürnberg (EnCN), ist Vorstand des Zentrum Wasserstoff.Bayern (H2.B) und Direktorin des Laboratory for Experimental Research Nuremberg (LERN). Seit 2020 ist Veronika Grimm Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Darüber hinaus ist sie in zahlreichen Gremien und Beiräten aktiv, unter anderem im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung, in der Expertenkommission zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“ am Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), im Zukunftskreis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (BMJV) sowie im Energy Steering Panel des European Academies' Science Advisory Council (EASAC). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Energiemärkte und Energiemarktmodellierung, Verhaltensökonomie, soziale Netzwerke sowie Auktionen und Marktdesign.

Veronika Grimm
Veronika Grimm(c) FAU (Giulia Iannicelli)

Mehr erfahren

Der ökonomische Blick

Integration am Arbeitsmarkt: Die entscheidenden ersten Monate

Der ökonomische Blick

Subventionswettlauf mit den USA? Keine gute Idee

Der ökonomische Blick

Steuermoral: Unternehmen an den Onlinepranger stellen?

Der ökonomische Blick

Strukturwandel in Österreich? Alles bleibt, wie es ist

Der ökonomische Blick

Sind wir süchtig nach digitalen Medien?

Der ökonomische Blick

Besonders beunruhigend: die "Inflationsungleichheit"

Der ökonomische Blick

Pensionssystem: Auch die Betriebe sind gefragt

Der ökonomische Blick

Helfen Sie den Menschen in Österreich, dem Klima zu helfen