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"Rot-Weiß-Rot-Card steuert nur Teil der Zuwanderung"

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(c) Clemens Fabry
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Interview. Heinz Fassmann glaubt nicht, dass die österreichische Wirtschaft ohne Zuwanderer wachsen kann. Wir haben nicht erkannt, dass Migration ein Element einer wachsenden Volkswirtschaft ist.

Die Presse: Gibt es in Österreich überhaupt eine Zuwanderungspolitik?

Fassmann: Jedenfalls nicht konzeptiv, es gibt Ansätze dafür, aber es fehlt das Zusammenhängende und Langfristige.


Hat die Politik einige Entwicklungen verschlafen?

Zuwanderung wurde bisher zu einer Ausnahmeerscheinung der Geschichte stilisiert. Die Gastarbeiterwanderung wurde als etwas Kurzfristiges betrachtet, geknüpft an die ökonomischen Zyklen. Wir haben nicht erkannt, dass Migration ein strukturelles Element einer wachsenden Volkswirtschaft ist, die sich demografisch im Schrumpfen befindet.

Wir brauchen also Zuwanderung.

Definitiv. Wir brauchen Menschen, die bestimmte Tätigkeiten verrichten – vor allem im Dienstleistungssektor.

 

Ist das ausschließlich eine Folge der demografischen Entwicklung?

Nicht nur. Es ist auch der Wunsch, dass unsere Wirtschaft wächst und nicht schrumpft.

 

Das Gegenargument lautet immer wieder: Wir haben genug Arbeitslose, deshalb brauchen wir keine Migration.

Das Argument zieht so nicht. Es gibt keinen Arbeitsmarkt, der so präzise ist, um alle Arbeitslosen immer zu beschäftigen. Dazu kommt, dass wir für neue Tätigkeiten qualifizierte Menschen brauchen, die nicht aus der Arbeitslosigkeit kommen.

 

In welchen Bereichen?

Forschung ist ohne Zuwanderung nicht vorstellbar. Der universitäre Sektor lebt vom internationalen Austausch. Eine große Nachfrage gibt es auch in Bereichen, in denen vielleicht zu niedrige Löhne bezahlt werden: Man denke an die Pflege. Das Gleiche gilt für Sparten, die ungünstige Arbeitsbedingungen aufweisen: der Tourismus zum Beispiel.

 

Wie müsste Migration nach Österreich optimalerweise organisiert sein?

Es braucht eine qualifikationsorientierte Migrationspolitik, sonst wandern Menschen zu, die keinen Arbeitsplatz bekommen. Wir müssen attraktiv werden für jene, die am Arbeitsmarkt gefragt sind. Und wir müssen uns auch dazu bekennen.

Ist die Rot-Weiß-Rot-Card eine richtige Maßnahme?

Der Ansatz ist ganz vernünftig, aber zu stückwerkhaft. Es wird übersehen, dass damit nur ein ganz kleiner Teil der Zuwanderung gesteuert werden kann: nämlich jener aus Drittstaaten. Das sind derzeit aber nur 3000 oder 4000 von zirka 100.000 Personen.

 

Weil die Hälfte der österreichischen Migranten aus der EU kommt. 2011 wird außerdem der Arbeitsmarkt für die neuen Schengen-Staaten geöffnet. Inwieweit kann Österreich Migration dann überhaupt noch steuern?

Nicht mehr autonom, nur mehr bilateral. Manchmal wird es dann auch nur durch Werbung gehen: Wer polnische Migranten haben will, wird sich ein Konzept überlegen müssen, wie er Polen ansprechen kann. Wir können Zuwanderung im EU-Raum nicht regeln, sondern nur konzeptiv zusammendenken. Darüber hinaus muss auch bedacht werden, wie der Familiennachzug für den Arbeitsmarkt aktiviert werden kann.

 

Hätte die kosovarische Familie mit den Zwillingsmädchen, die abgeschoben wurde und jetzt wieder einreisen darf, in Migrations-Musterländern wie Kanada oder Australien eine Chance gehabt?

Beide Staaten nehmen zwar bestimmte Asylwerber auf. Aber dass Arbeitsmigranten – wie bei uns – über den Asylweg ins Land kommen, ist dort so sicherlich nicht möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2010)