Nur "Symptombekämpfung"

Kritik am Corona-Stufenplan: "Zuspitzen der Covid-Situation wäre vermeidbar''

Wie will die Regierung den Impffortschritt vorantreiben? Dies habe sie im vorgelegten Maßnahmenpaket nicht berücksichtigt, kritisiert der Epidemiologe Gerald Gartlehner.
Wie will die Regierung den Impffortschritt vorantreiben? Dies habe sie im vorgelegten Maßnahmenpaket nicht berücksichtigt, kritisiert der Epidemiologe Gerald Gartlehner. (c) APA/dpa/Christoph Soeder (Christoph Soeder)
  • Drucken

Das eigentliche Problem - nämlich die niedrige Impfquote - werde mit den neuen Corona-Maßnahmen nicht gelöst, so Epidemiologe Gartlehner. Unverständnis zeigt er auch über die Sieben-Tage-Verzögerung nach dem Erreichen bestimmter Grenzwerte.

Vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen und immer mehr Patienten auf den Spitälern und Intensivstationen hat die Regierung am Mittwoch die Corona-Regeln für den Herbst vorgestellt. Sie sehen vor allem neue Einschränkungen für Ungeimpfte vor. Dem Epidemiologen Gerald Gartlehner fehlt in dem Stufenplan der Regierung, "dass eigentlich nichts dabei ist, das die Ursache des Problems behandelt - nämlich, wie wir die Impfrate erhöhen". Man müsse sich vor Augen halten, dass die sich zuspitzende Covid-19-Situation "völlig vermeidbar" ist, wenn sich mehr Leute impfen lassen würden.

Dass der Fokus nun auf den Krankenhauskapazitäten liegt, findet Gartlehner aber "gut".

Leider handle es sich bei dem Paket um "Symptombekämpfung", die noch dazu nicht unmittelbar einsetzen soll. Warum Maßnahmenverschärfungen nämlich nach dem Erreichen von bestimmten Grenzwerten bei der Belegung der Intensivstationen erst sieben Tage später in Kraft treten, "kann ich überhaupt nicht nachvollziehen", so der Experte für Evidenzbasierte Medizin von der Donau-Universität Krems: "Es sieht ja jeder, in welche Richtung es geht und worauf man sich vorbereiten muss."

"Stufe 2" des Plans sieht etwa sieben Tage nach Überschreitung einer Intensivstations-Auslastung von 15 Prozent (300 Betten) u.a. die 2G-Regel in der Nachtgastronomie und bei Veranstaltungen ohne zugewiesene Sitzplätze mit mehr als 500 Personen vor. Diesen Schwellenwert sieht Gartlehner "eigentlich schon ums Eck".

Beibehaltung von Wohnzimmertests „riskant"

Außerdem werden dann Antigentests mit Selbstabnahme ("Wohnzimmertests") nicht mehr als Nachweis für Bereiche mit 3G-Einstrittsregel gültig sein. Dass "diese unsäglichen Wohnzimmertests" nicht sofort abgeschafft werden, kritisiert der Epidemiologe. Deren Einsatz sei vor einem halben Jahr noch vertretbar gewesen, nun sei dem aber nicht mehr so. Immerhin ungefähr 50 Prozent der asymptomatisch Infizierten würden nämlich übersehen. "Da leisten wir uns schon ein großes Risiko."

Die breitere Rückkehr der FFP2-Maske bewertet Gartlehner als positiv. Zumindest parallel zu den heute umrissenen Verschärfungen sollten deutlich mehr Impfkampagnen gefahren oder der Druck auf Ungeimpfte erhöht werden. Da habe sich im Sommer nicht viel getan, obwohl die Regierung "ja nicht gerade ungeübt" im Fahren von Kampagnen sei, so Gartlehner. Außerdem sei es in Österreich "fast noch ein bisschen zu bequem, ungeimpft zu sein". So könnte man Testgültigkeiten weiter verkürzen oder "finanzielle Beiträge" bei Testen einheben."

Für die einen „grotesk“, für die anderen „zu zögerlich"

Kritik an der neuen Regelung kam am Mittwoch auch von der Opposition. So sprach die FPÖ von einer "Impfokratur“ und einer "Brandmarkung für Ungeimpfte“. Die SPÖ und Neos sahen indes zu zögerliche Schritte seitens des Bundes. Die Regierung hätte es verschlafen, den Impffortschritt voranzutreiben.

Die Landeshauptleute wiederum zeigten sich zufrieden ob der Pläne. Bürgermeister Ludwig etwa lobte das Konzept, mit dem der Bund „auf den Wiener Weg" eingeschwenkt sei.

>>> Weitere Reaktionen auf die angekündigten Pläne

(APA/Red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Die FFP2-Maske feiert ihr Comeback.
Coronavirus

FFP2, Antigentests: Was ab heute gilt

Erstmals haben es Ungeimpfte mit Nachteilen zu tun: Sie müssen nicht nur in Supermärkten und Lebensmittelgeschäften, sondern auch im sonstigen Handel FFP2-Masken tragen.
Ab 15. September muss in den öffentlichen Verkehrsmitteln wieder eine FFP-Maske getragen werden.
Dreistufenplan

Corona-Maßnahmen ab Mittwoch: Warten auf Verordnung

Dem SPÖ-Gesundheitssprecher fehle „jede Spur einer rechtlichen Grundlage“ für die neuen Corona-Maßnahmen. Die Verordnung sei derzeit in Finalisierung und werde vermutlich am Dienstag vorliegen, heißt es aus dem Sozialministerium. Also einen Tag, bevor der Dreistufenplan der Regierung in Kraft tritt.
Wiens Bürgermeister ist davon überzeugt, "dass wir sehr viel konsequenter vorgehen müssen".
Corona

Ludwig drängt doch wieder auf schärfere Maßnahmen

Nach den Beratungen der Regierung mit den Landeshauptleuten am Mittwoch hatte sich Wiens Bürgermeister erst noch zufrieden gezeigt. Nun plädiert er dafür, die geplanten drei Stufen zusammenzufassen und "zeitnah" umzusetzen.
Wie viele Hürden sind noch zu nehmen, um dem Coronavirus Herr zu werden?
Pandemie

Drei Erkenntnisse aus dem Dreistufenplan

Die Regierung versucht den Übergang zur Normalität mit mehreren gelinderen Mitteln zu erreichen, statt den Vorschlaghammer auszupacken. Mit einer angepassten, durchaus geschickten Kommunikation.
Katharina Reich, Chief Medical Officer im Gesundheitsministerium
Pandemie

Corona-Stufenplan: "Geimpfte sind nicht aus dem Schneider"

Katharina Reich, oberste Beamtin im Gesundheitsministerium, plädiert für eine „Maskenpflicht für alle“. Und appelliert an jeden Einzelnen: „Können wir Gescheites nicht einfach machen?"

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.