Afghanistan

Wie die Welt auf die Taliban-Regierung reagiert

Er gab lediglich die Namen bekannt, Sprecher Zabihullah Mujahid. Die Kabinettsmitglieder zeigen sich vorerst nicht.
Er gab lediglich die Namen bekannt, Sprecher Zabihullah Mujahid. Die Kabinettsmitglieder zeigen sich vorerst nicht.APA/AFP/AAMIR QURESHI
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Die USA sind besorgt über die Zusammensetzung der neuen afghanischen Regierung, auf deren Innenminister sie sogar ein Kopfgeld ausgesetzt haben. Auch der deutsche Außenminister ist „nicht optimistisch“, was die Zukunft des Landes angeht. Proteste im Land halten an.

Drei Wochen nach ihrer Machtübernahme gab ein Sprecher der Taliban am Dienstag 33 Namen der künftigen Regierungsmitglieder bekannt. Die Sorge vieler westlicher Staaten ist groß, dass sich bei den militanten Islamisten die Hardliner durchsetzen. Auf der Liste der Kabinettsmitglieder stünden "ausschließlich Personen, die Mitglieder der Taliban oder ihrer enger Verbündeter sind und keine Frauen", erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums laut Medienberichten vom Dienstag (Ortszeit). Auch Deutschland zeigte sich unzufrieden. Russland plant keine Gespräche mit der Übergangsregierung. Die EU zeigte sich enttäuscht, sie setzt ihre Nothilfe für Afghanistan bis auf weiteres aber fort. In Österreich beschloss die Bundesregierung 18 Millionen Soforthilfe für Afghanistan.

"Es gibt keine Frauen und religiösen Minderheiten", twitterte die Frauenrechtlerin Fausi Kufi Mittwoch. Als sie das erste Mal Vertreter der Taliban getroffen habe, habe man ihr erklärt, es gebe keine Hindernisse für Frauen, Ministerinnen oder Regierungschefin zu werden. "Sie tun aber genau das Gegenteil", schrieb Kufi.

"Wir haben unsere Erwartung klar geäußert, dass das afghanische Volk eine inklusive Regierung verdient", zitierten die "Washington Post" und andere Medien den Sprecher des US-Außenministeriums weiter. Zudem gäben die Verbindungen und die Vergangenheit einiger Personen der Übergangsregierung Anlass zur Sorge, hieß es ferner.

Kopfgeld auf Innenminister ausgesetzt

So wurde etwa Sarajuddin Haqqani, der dritte Vizechef der Taliban und Chef des berüchtigten Haqqani-Netzwerkes, zum Innenminister ernannt. Das Haqqani-Netzwerk wird für einige der grausamsten Anschläge in Afghanistan verantwortlich gemacht. Die USA suchen den etwa Mitte-40-Jährigen mit einem siebenstelligen Kopfgeld.

Der FBI-Fahnungsaufruf für den nunmehrigen Innenminister Afghanistans, Sarjuddin Haqqani.
Der FBI-Fahnungsaufruf für den nunmehrigen Innenminister Afghanistans, Sarjuddin Haqqani.via REUTERS

Der deutsche Außenminister Heiko Maas sah dies ähnlich. "Die Verkündung einer Übergangsregierung ohne Beteiligung anderer Gruppen und die gestrige Gewalt gegen Demonstrantinnen und Journalisten in Kabul sind nicht die Signale, die (...) optimistisch stimmen", teilte Maas am Mittwoch vor einem Treffen mit seinem US-Kollegen Antony Blinken und einer Konferenzschaltung mit 20 Außenministern mit. Das Engagement des Westens werde aber vom Verhalten der Taliban abhängen. Diese hatten die Rückkehr der Diplomaten nach Kabul und die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit gefordert.

Nahrungsmittelknappheit, kaum Geld

In Afghanistan droht nach Angaben von Maas eine dreifache humanitäre Krise. In vielen Teilen des Landes herrsche jetzt schon Nahrungsmittelknappheit aufgrund der Dürre. Gleichzeitig seien internationale Hilfszahlungen gestoppt worden, von denen viele Menschen abhängen. "Und wenn eine neue Regierung nicht in der Lage ist, die Staatsgeschäfte am Laufen zu halten, droht nach dem politischen der wirtschaftliche Kollaps - mit noch drastischeren humanitären Folgen", warnte der SPD-Politiker. Das sei auch eine zentrale Sorge der Nachbarstaaten.

Maas unterstrich vor dem Treffen mit Blinken auf dem US-Stützpunkt in Ramstein die Notwendigkeit einer engen Abstimmung mit den USA beim Thema Afghanistan. Er habe deshalb zusammen mit Blinken zu der virtuellen Außenministerkonferenz eingeladen. Dabei soll unter anderem erneut beraten werden, wie man mit den Taliban umgehen soll und weitere Menschen aus dem Land evakuieren kann.

EU will längerfristige Hilfe an Bedingungen knüpfen

"Die Europäische Union ist bereit, weiter humanitäre Hilfe zu leisten", sagte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maroš Šefčovič, Mittwoch. Längerfristig hingen Gelder davon ab, ob die Machthaber in Kabul Grundfreiheiten aufrechterhielten. Auch die EU äußerte sich enttäuscht über das von den Taliban eingesetzte Übergangskabinett. Nach einer ersten Analyse der bekannt gegebenen Namen erscheine es in Hinblick auf die reiche ethnische und religiöse Vielfalt des Landes nicht so inklusiv und repräsentativ wie erhofft, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Mittwoch in Brüssel. Zudem hätten die Taliban in den vergangenen Wochen auch andere Ankündigungen gemacht.

Der Sprecher wies darauf hin, dass die Bildung einer inklusiven und repräsentativen Übergangsregierung für die EU eine der fünf EU-Bedingungen für eine beschränkte Zusammenarbeit mit den militant-islamistischen Taliban ist. "Diese Inklusivität und Repräsentativität wird bei der Zusammensetzung einer künftigen Übergangsregierung erwartet", sagte er. Die Übergangsregierung müsse das Ergebnis von Verhandlungen sein.

Kreml will keine direkten Kontakte zu Taliban-Regierung

Der Kreml plant vorerst keine direkten Gespräche mit der neuen Taliban-Übergangsregierung. "Die Kontakte werden über unsere Botschaft in Kabul abgewickelt", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Dabei gehe es etwa darum, die Sicherheit der russischen Diplomaten in Afghanistan zu gewährleisten. "Weitere Gespräche sind nicht geplant", sagte Peskow. Moskau werde wie andere Länder auch die weiteren Schritte der Taliban beobachten. Sie sind in Russland als terroristische Organisation verboten.

Demgegenüber begrüßte Afghanistans Nachbarland Usbekistan das Übergangskabinett. "Wir hoffen, dass diese Entscheidung der Anfang sein wird, einen breiten nationalen Konsens zu erreichen und dauerhaften Frieden und Stabilität in diesem Land zu schaffen", teilte das Außenministerium der Ex-Sowjetrepublik in Zentralasien mit. Usbekistan sei zu einem "konstruktiven Dialog bereit".

Weitere Proteste in Afghanistan

Unterdessen kommt es in Afghanistan selbst weiter zu Protesten, trotz der Versuche der militant-islamistischen Taliban, diese teils mit Gewalt zu unterdrücken. Am Mittwoch demonstrierten rund 20 Frauen im Stadtteil Dasht-e-Barchi im Westen der Hauptstadt Kabul, wie auf Videos in sozialen Medien zu sehen war und lokale Journalisten berichteten. Die Frauen riefen "Ein Kabinett ohne Frauen wird versagen" und kritisierten damit die am Dienstag verkündete Übergangsregierung der Taliban, die ein reines Männerkabinett ist.

Sie hielten auch Schilder mit den Worten "Arbeit, Bildung, Freiheit" und "Wieso sieht die Welt stillschweigend zu?" hoch. Ein kleinerer Frauenprotest wurde auch aus der Stadt Faizabad im Norden berichtet, der lokalen Medienberichten zufolge aber schnell aufgelöst wurde.

In Kabul finden den dritten Tag in Folge Proteste statt. Die Demonstrationen richteten sich bisher teils gegen eine mutmaßliche Einmischung Pakistans in Afghanistan, forderten teils mehr Frauenrechte oder kritisierten die gewaltsame Übernahme der Provinz Panjshir durch die Taliban am Montag.

Gewalt in Herat, Journalisten misshandelt

In den Provinzen Gazni und Ghor verhinderten die Islamisten am Dienstag laut Einwohnern Demonstrationen. In der Stadt Herat im Westen kam es am Dienstag zu gewaltsamen Zusammenstößen. Ein Aktivist aus der Stadt sagte am Mittwoch, es seien mindestens zwei Demonstranten getötet und sieben verwundet worden, nachdem Taliban Schüsse abgefeuert hatten, um die Demonstranten auseinanderzutreiben.

Mindestens zwei Journalisten wurden in der afghanischen Hauptstadt schwer körperlich misshandelt. Im Gesicht und am Kopf von zwei Mitarbeitern der bekannten Tageszeitung "Etilatrus" seien Dutzende Abdrücke von Kabeln und Peitschen zu sehen, schrieb der Herausgeber von "Etilatrus", Saki Darjabai, am Mittwoch auf Twitter. Man habe die Kollegen schwach und in einem Zustand der Lethargie ins Büro gebracht.

Er teilte zudem ein Bild, auf dem ein Rücken mit schweren Verletzungen zu sehen ist und kommentierte es mit den Worten: "Das ist nur ein kleiner Teil dessen, was Taliban Journalisten von Etilatrus antaten." Auf einem Video ist zu sehen, dass ein Journalist nicht mehr selbst laufen kann, auf einem anderen ein weiterer, der zwar alleine steht, aber kaum sprechen kann.

Rund zwei Stunden davor hatte Darjabi auf Twitter mitgeteilt, dass fünf seiner Mitarbeiter, darunter der Chefredakteur, von der Taliban festgenommen worden seien, als sie in den nebeneinander liegenden Stadtteilen über einen Frauenprotest berichten wollten.

TV-Sender berichten nicht mehr über Proteste

Die größten lokalen TV-Sender haben am Mittwoch offensichtlich die Berichterstattung über die Proteste eingestellt. Am Dienstag hatten Taliban eine Gruppe von Reportern und Kameramännern für mehrere Stunden festgenommen, nachdem sie über den Protest in Kabul berichtet hatten. Auch am Mittwoch kam es offenbar erneut zu Zusammenstößen mit Medienvertretern. Ein Reporter der "Los Angeles Times" schrieb auf Twitter, er und sein Fotograf seien von Taliban herumgeschubst worden, als sie versuchten, über einen Frauenprotest in Kabul zu berichten.

(APA/dpa/Reuters)

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