Die NGOs sind zu einem Teil des Problems geworden

Caritas, Diakonie & Co. orientieren sich in der Asyl- und Einwanderungspolitik am Einzelfall. Im Arrangement mit Boulevard und Politik wurde das zum Problem.

Der Kampf der Bilder geht weiter. Nachdem die Innenministerin einen Bescheid der Stadt Steyr aufgehoben hat, werden die Komani-Zwillinge, die mit ihrem Vater in den Kosovo abgeschoben wurden, obwohl sich die Mutter wegen Suizidgefahr in Spitalsbehandlung befand, demnächst mit einem humanitären Visum wieder einreisen. Dann werden die Medien, die faktisch zur letzten Instanz in Asyl- und Abschiebungsfragen geworden sind, sich mit Bildernachschub eindecken können. Bis dahin werden die Berichte über die Familie Komani mit Fotos aus jenem Fundus illustriert werden, der vor rund einem Monat anlässlich einer Solidaritätsaktion für die von der Abschiebung bedrohte Familie angelegt wurde. Die sind ziemlich eindrucksvoll und haben ihre Wirkung bisher nicht verfehlt.

Noch ist nicht klar, wie der Fall Komani zwischen lokalen Behörden und Ministerium wirklich gelaufen ist. Gesichert scheint nur, dass die Familie, wenn sie wieder in Österreich vereint ist, in Wien einen neuen Anlauf auf Erteilung des humanitären Bleiberechts nehmen darf. Die Erfolgsaussichten sind, nicht zuletzt dank der existierenden und noch zu erwartenden Bilder, ziemlich gut. Schön für die Familie Komani. Vor allem die Zwillinge haben sich das nach dem Schock der – ebenfalls medial perfekt dokumentierten – Abschiebung wohl verdient.

Beim Versuch zu rekonstruieren, wie der Fall wirklich bis zu seiner Eskalation gelaufen ist, wird vielleicht auch die Rolle von Hilfsorganisationen in diesem Fall und in ähnlich gelagerten Fällen sichtbar werden. Sie bilden in der Regel das Bindeglied zu den Medien, die die Bilder einer auf Skandal konditionierten Öffentlichkeit zur letztinstanzlichen Entscheidung vorlegen. Wenn man sich vor Augen hält, was in all den Jahren mit all den abgeschobenen Einzelnen und Familien passiert ist, deren Asylwerberbiografie in Österreich medial undokumentiert geblieben ist, wird der Zynismus dieser Art von Sozialpornografie für den guten Zweck sehr deutlich.

Die NGOs hören das nicht besonders gern, aber sie sind zu einem strukturellen Teil des Integrations- und Zuwanderungsproblems in Österreich geworden. Im nachvollziehbaren und anerkennenswerten Versuch, Einzelschicksale positiv zu beeinflussen, haben sie sich zu zwei Dingen entschlossen, durch die sie den Wert ihres Engagements selbst infrage stellen.

Erstens zu einem Arrangement mit dem Boulevard. Der Boulevard folgt einem einfachen Kalkül: So erfolgversprechend eine xenophobe Grundausrichtung für das Geschäftsmodell etwa der „Krone“ ist, so gut lässt sich mit der kurzfristigen Parteinahme für traurige hübsche junge Mädchen Quote machen. Den betreuenden Hilfsorganisationen ist das recht, denn sie wollen helfen, und das können sie mit der Hilfe des Boulevards effizienter als ohne.

Zweitens haben sich die Hilfsorganisationen entschlossen, politisches Lobbying für eine Asyl- und Zuwanderungsgesetzgebung zu machen, die jenen den Vorrang gibt, die es, auf welchen Wegen auch immer, schon einmal bis Österreich geschafft haben. Das ist eine logische Folge ihres Engagements für den Einzelfall, widerspricht aber in der Regel den Prinzipien einer gesteuerten Zuwanderung, die auf Qualifikationen abstellt und eine Einwanderung ins Sozialsystem möglichst verhindern soll.


Dort, wo es um prinzipielle Fragen geht, haben Caritas, Diakonie und andere NGOs sich entschlossen, Seite an Seite mit den Grünen Politik zu machen. Sie agieren als Lobbys mit den handelsüblichen Praktiken der Branche, von Polemik über Vereinfachung bis zur selektiven Faktendarstellung (etwa, was den Beitrag der Zuwanderer zur Zukunftsfähigkeit des österreichischen Sozialsystems betrifft).

Bisher hatten vor allem die kirchlichen Hilfsorganisationen den unschätzbaren Vorteil des faktischen Immunitätsschutzes. Sie konnten sich darauf verlassen, dass bestimmte Bevölkerungskreise Kritik, wie sie jüngst auch in dieser Zeitung geäußert wurde, als unangemessen und unerhört zurückweisen würden. Aber Tabus halten erstens nicht ewig und sind zweitens, wie der Aufstieg der FPÖ gezeigt hat, in politischen Zusammenhängen gefährlich.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2010)

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