Protokolle des Horrors: Stimmen aus den Twin Towers

9/11-Memorial in New York City
9/11-Memorial in New York City (c) imago images/Pacific Press Agency (Ryan Rahman via www.imago-images.de)
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Die Protokolle der Gespräche, die am 11. September 2001 mit den Einsatzzentralen geführt wurden, dokumentieren den Überlebenskampf der Opfer.

„Sollen wir bleiben oder nicht?" Es ist eine Frage, die an diesem Tag über Leben und Tod entscheiden wird. Kurz nachdem am 11. September 2001 ein Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers in New York gerast ist, ruft ein Mann aus dem 92. Stockwerk des Südturms bei der Polizei an. „Wir wissen, dass es eine Explosion gegeben hat, ich weiß nicht welches Gebäude", sagt er und fragt zweimal nach, ob er und seine Kollegen den Turm verlassen sollen. Der Polizist am anderen Ende der Leitung zögert, antwortet schließlich: „Ich würde bis auf weiteres warten". Kurz danach schlägt auch in den Südturm ein Flugzeug ein, fast alle Menschen in den oberen Stockwerken kommen ums Leben.

Das Protokoll des Anrufs aus dem 92. Stock ist eines von vielen, die den Horror von 9/11 greifbar machen. Knapp zwei Jahre nach den Anschlägen erkämpfte die „New York Times" gerichtlich, dass die Aufzeichnungen der Gespräche, die an diesem Tag mit der Port Authority geführt wurden, veröffentlicht werden. Die Port Authority, die Hafenbehörde von New York und New Jersey, war für die Sicherheit im World Trade Center verantwortlich und hatte dort ihr Hauptquartier.

Funksprüche von Polizisten und Feuerwehrleuten, Anrufe besorgter Angehöriger und panischer Menschen aus den Türmen: Rund 2000 Seiten umfassen die Protokolle der Gespräche, die am 11. September mit den Einsatzzentralen der Behörde geführt wurden. Sie dokumentieren quasi in Echtzeit den Überlebenskampf der Menschen in den Twin Towers und die verzweifelten Bemühungen der Einsatzkräfte - an vielen Stellen auch deren Hilflosigkeit.

Eine einheitliche Linie zur Evakuierung des World Trade Centers gibt es nach dem ersten Flugzeug-Einschlag zunächst nicht. „Alle raus", weist ein Polizist einen Anrufer aus dem Südturm kurz nach dem Angriff auf den Nordturm an, während ein Kollege an anderer Stelle noch zum Abwarten rät.

"Körper fallen vom Himmel"

Manche Berichte vom Ort des Geschehens machen die Männer und Frauen an den Telefonen und Funkgeräten schlicht fassungslos. „Ich habe hier dutzende Leichen, Menschen, die einfach von oben aus dem Gebäude springen auf ... vor das World Trade Center eins", funkt eine in den Aufzeichnungen nicht näher bezeichneter männliche Person vor dem Einsturz der Twin Towers. „Sir, was springt aus den Gebäuden?", antwortet eine weibliche Stimme. „Menschen. Körper fallen einfach vom Himmel ... von oben vom Gebäude." Die Angefunkte kann es immer noch nicht fassen: „Körper?"

Eine Minute nach dem Einsturz des ersten Turms ruft die Ehefrau eines Polizisten in einer der Einsatzleitstellen der Port Authority an: „Ist mein Mann in dem Gebäude, das gerade eingestürzt ist?" Der Polizeibeamte am anderen Ende der Leitung versucht, zu beruhigen: „Niemand von unseren Jungs ist im Moment verletzt", wiederholt er mehrmals - auch noch, nachdem ihm die Frau gesagt hat, dass ihr Mann gerade auf dem Weg in die oberen Stockwerke des Turms war. Als der Polizist ihr erklärt, das Gebäude werde gerade evakuiert, erinnert sie ihn: „Es ist gerade eingestürzt." Kurz darauf bricht das Gespräch ab.

Neben vielen solcher kurzen und oft auch unvollständig aufgenommenen Gesprächen gibt es auch Aufzeichnungen, die einen tieferen Einblick in das Schicksal von Betroffenen geben. Im Folgenden zwei dieser Protokolle.

Anrufe vom „Windows on the World"

Das Restaurant „Windows on the World" befand sich im 106. und 107. Stock des Nordturms (World Trade Center eins). Das erste Flugzeug schlug unterhalb des Restaurants ein, Gäste und Angestellte wurden vom unteren Teil des Gebäudes abgeschnitten.

14 Minuten nach dem Einschlag des Flugzeuges erhält ein Beamter der Port Authority einen Anruf von einer Restaurant-Angestellten namens „Christine", die später als die 39-jährige Christine Olender identifiziert wurde.

Christine: Hallo, hier spricht Christine, Assistentin des General Manager von Windows. Wir erhalten hier oben keine Anweisungen. Hier ist Rauch. Die meisten Menschen sind im 106. Stock, der 107. ist voller Rauch. Wir brauchen Anweisungen, wohin wir unsere Gäste und Angestellten führen sollen, so schnell wie möglich.

Officer Maggett: Okay. Wir tun unser bestes, wir haben die Feuerwehr verständigt, wir versuchen zu Ihnen rauf zu kommen, Liebes. Alles klar, rufen Sie in ungefähr zwei bis drei Minuten noch einmal an, und ich finde heraus in welcher Richtung Sie versuchen sollten, nach unten zu kommen.

Christine: Weil unsere...

Maggett: Sind die Treppenhäuser A, B und C blockiert und voller Rauch?

Christine: Die Treppenhäuser sind voller Rauch, A, B und C. Und meine .. die Notruf-Telefone funktionieren nicht.

Maggett: Ja, die sind .. alle .. alle Leitungen sind jetzt tot. Aber alle sind auf dem Weg, die Feuerwehr...

Christine: Die Lage im 106. verschlimmert sich.

Maggett: Okay, Liebes. Alles klar, wir tun unser bestes um zu Ihnen nach oben zu kommen. Alles klar, Liebes?

Christine: Aber wo .. wo wollen Sie (unhörbar) .. können Sie wenigstens ... können Sie uns wenigstens zu einem bestimmten Schacht in dem Gebäude leiten. Ich meine welcher Schacht ... welcher Bereich .. an welche Stelle des Gebäudes können wir gehen, wo wir nicht all diesem Rauch ausgesetzt sind?

Maggett: Sofern wir nicht herausfinden aus welchem Bereich genau .. der meiste Rauch ... der meiste Rauch hinaufkommt, und dann können wir Anweisungen geben. Wie ich gesagt habe, rufen Sie in ungefähr zwei Minuten noch einmal an, Liebes.

Christine: In zwei Minuten noch einmal anrufen. Großartig.

Maggett: Ungefähr zwei Minuten, alles klar? (Hängt auf)

--

Murray: Port Authority Police, Murray.

Christine; Hallo, hier spricht Christine im Windows im 107 Stock. Wir warten immer noch auf Anweisungen. Wir haben Gäste hier oben.

Murray: Äh, wie viele Menschen seid ihr da oben, ungefähr?

Christine: Hier sind ungefähr 75 bis 100 Menschen.

Murray: 75 bis 100, und Sie sind im 106. oder 107.

Christine: 106, 107 ist unmöglich. Der Rauch im 107...

Murray: Wir .. wir schicken bereits Polizisten und Feuerwehrleute nach oben. Wir evakuieren so bald wie möglich.

Christine: Aber wir .. im Moment müssen wir einen Zufluchtsort im 106. finden, wo der Rauch nicht so schlimm ist. Können Sie uns zu einer bestimmten Stelle leiten?

Murray: Wir schicken so schnell wie möglich jemanden rauf. Wenn es jemand zum Treppenhaus schafft, ist das in Ordnung. Wir schicken..

Christine: Das geht nicht ... das Treppenhaus ist...

Murray: Alles klar, wir schicken .. wir schicken Leute rauf, so bald wie möglich.

Christine: Was ist die voraussichtliche Ankunftszeit?

Murray: Ich .. ich muss ans Funkgerät gehen. So bald wie möglich. So bald wie menschenmöglich.

--

Christine: Hallo, hier ist wieder Christine vom Windows on the World.

Murray: Okay, äh, Ma'am, so bald wie möglich, Ich habe alle verständigt, die zu verständigen sind, nach oben zu kommen.

Christine hängt auf

--

Murray: Port Authority Police, Murray

Christine: Hallo, hier ist wieder Christine von Windows on the World im 106. Stock. Die Lage im 106, verschlimmert sich rasch.

Murray zu Person im Hintergrund: Ich habe hier den vierten Anruf von Windows on the World, es wird rasch schlimmer dort oben.

Christine: Wir .. wir haben .. die frische Luft wird schnell weniger. Ich übertreibe nicht.

Murray: Äh, Ma'am, ich weiß dass Sie nicht übertreiben. Wir bekommen viele solcher Anrufe. Wir schicken die Feuerwehr so schnell wie möglich rauf. Ich hab verstanden, Christine, vier Anrufe, 75 bis 100 Menschen, Windows on the World, 106. Stock.

Christine: Was können wir tun, um Luft zu bekommen.

Murray: Ma'am, die Feuerwehrleute...

Christine: Können wir ein Fenster einschlagen?

Murray: Sie können tun was immer Sie müssen um an, äh, Luft zu kommen.

Christine: Alles klar.

Das war das letzte, was man vom „Windows on the World" hörte. 161 Angestellte und Gäste kamen dort ums Leben.

Anrufe vom 64. Stock des Nordturms

Eine Gruppe von 16 Mitarbeitern der Port Authority ruft etwa 20 Minuten nach dem Einschlag des Flugzeugs von ihrem Büro im 64. Stock des Nordturms aus bei einem Kollegen der Port Authority an.

Pat Hoey: Sergeant, hier spricht Pat Hoey, ich bin von der Port Authority. Ich bin im Trade Center.

Police Desk Sergeant Mariano: Was ist los?

Hoey: Ich bin im 64. Stock.

Mariano: Okay.

Hoey: In Turm eins.

Mariano: Alles klar.

Hoey: Ich habe hier ungefähr 20 Menschen bei mir.

Mariano: Okay.

Hoey: Was schlagen Sie vor? Bleiben?

Mariano: Bleiben Sie. Brennt es da, wo Sie sind?

Hoey: Nein, hier ist nur ein bisschen Rauch im Flur.

Mariano: Es sieht so aus als gäbe es auch in Turm zwei eine Explosion.

Hoey: Okay.

Mariano: Also seien Sie vorsichtig. Bleiben Sie in der Nähe der Treppen und warten Sie, bis die Polizei raufkommt.

Hoey: Die werden raufkommen? Okay. Sie werden jedes Stockwerk checken? Bitte geben Sie nur Bescheid, dass wir hier oben sind.

Mariano: Ich habe verstanden.

Hoey: Wenn Sie die Nummer brauchen, 5397.

Mariano: Habe verstanden.

Hoey: Danke.

Mariano: Alles klar, bye.

--

Ungefähr 30 Minuten danach wird Sergeant Mariano von einem nicht näher bezeichneten Polizisten kontaktiert:

Police officer: Hier ist jemand von der Kommunikation oder so, er sagt Leute aus dem 64. Stock melden, dass sie in ihren Büros im 64. sind und nichts gehört haben, ob sie evakuieren können. Wen können sie kontaktieren?

Mariano: Meine Funkgeräte funktionieren nicht.

Officer: Okay.

Mariano: Also kann ich niemanden anrufen. Wenn es bei denen nicht brennt..

Officer: Sie haben gesagt, dass Rauch in die Büros kommt.

Mariano: Alles klar, Ich denke Sie sollten zu den Treppen gehen, und zur Hölle da rauskommen.

Officer: Alles klar, also wer .. ist da jemand, ein Kommandozentrum oder irgendwas?

Mariano: Es gibt noch kein Kommandozentrum. Es fährt jetzt ein Kommandobus hin.

Officer: Okay. Also, ich will nicht sagen (unhörbar)

Mariano: Er ist im 64., und ich könnte nicht einmal sagen wo das Feuer ist.

Officer: Okay.

Mariano: Für mich sieht es danach aus .. als ob das Feuer über ihm wäre. Ich würde ihm sagen, dass er da raus soll.

Officer: Okay.

Mariano: Rausgehen, und die Treppen runter.

Officer: Okay.

Mariano: Alles klar?

Officer: Okay.

Mariano: Okay?

Officer: Alles klar, bye.

--

Auch bei der Zentrale in Port Newark ruft die Gruppe aus dem 64. an - das Gespräch selbst ist nicht verzeichnet, dafür Anrufe eines dortigen Mitarbeiters bei der Port Authority Polizei. Auch er will wissen, ob er der Gruppe raten soll, das Gebäude zu verlassen. „Allerdings, ja", antwortet der Beamte am anderen Ende der Leitung.

--

Kurz nach dem Einsturz des Südturms (10:05 Uhr) ist noch einmal ein Anruf von Pat Hoey bei einer Polizeistelle verzeichnet.

Hoey Hallo, hier spricht Pat Hoey. Ich bin im Trade Center, Turm eins, ich arbeite für Port Authority. Und wir sind im 64. Stock. Der Rauch wird ziemlich schlimm. Also werden wir .. wir überlegen, die Treppen hinunter zu gehen. Ist das sinnvoll?

Police Desk: Ja. Versuchen Sie, raus zu kommen.

Hoey: Okay.

Desk: Okay?

Hoey: Danke.

Desk: Alles klar. Bye.


Kurz darauf beginnt die Gruppe, die Treppen hinabzusteigen. Währenddessen stürzt das Gebäude ein. Zwei Menschen aus der Gruppe werden noch lebend aus den Trümmern gezogen, die anderen, inklusive Pat Hoey, sterben.

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