Pizzicato

Auf dem Zentralfriedhof

Ob Falco als Nachtfalke in den Refrain einstimmte? Ob umgekehrt Ludwig van Beethoven sich im Grab umgedreht hat?

Haben die Sträuße, Johann Vater und Sohn, den Taktstock zum schaurigen Todeswalzer geschwungen? Klapperten die Skelette im Rhythmus? Und: Hat das Konzert die Fledermäuse in ihrer Nachtruhe aufgescheucht, ehe sie über die Ehrengräber davonflatterten?

Am Mittwochabend sangen und tanzten Tausende „Wolferl“-Fans, als Wolfgang Ambros im Rahmen des Nachklang-Festivals die unvergänglichen Joesi-Prokopetz-Strophen ins Mikrofon jaulte: „Wanns Nacht wird über Simmering, kummt Leben in die Toten.“ Über den Friedhof im Südosten Wiens hallte die heimliche Hymne der Stadt, und es war wohl tatsächlich „a Stimmung, wia's sein Lebtoch no net war“: „Es lebe der Zentralfriedhof und alle seine Toten.“

Manchen erschien das pietätlos. Im Rathaus frohlockten sie: Eine bessere Werbung konnte der darniederliegende Tourismus gar nicht bekommen. Von München bis Hamburg, von Paris bis New York spielen Medien ihr Lied von der Hauptstadt des Morbiden und Makaberen. Corona hin, Corona her: Alsbald werden Touristen in Scharen mit dem 71er zum Gottesacker an die Peripherie pilgern, um die Seele der Stadt und das Fluidum des Todes einzuhauchen. Und einer wird singen: „Es wird a Wein sein . . .“ (vier)

Reaktionen an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2021)

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