Morgenglosse

Spiel, Satz und Sieg – für Heuchelei

 Emma Raducanu
Emma Raducanu(c) APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY (TIMOTHY A. CLARY)
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Großbritannien bejubelt Emma Raducanu. Genau einer von jenen Menschen, die man seit dem Brexit doch nicht mehr im Land haben will.

Von der Queen abwärts befindet sich Großbritannien im Freudenrausch: Mit dem Sieg im Endspiel der US Open habe die 18-jährige Emma Raducanu „uns außerordentlich stolz“ gemacht, hob Premierminister Boris Johnson in seiner Gratulation hervor. Queen Elizabeth lobte die Tennisspielerin für ihre „Hingabe und harte Arbeit“. Im ganzen Land folgten Millionen dem Finalspiel. Selbst in Pubs, die sonst streng „Männersportarten“ wie Fußball und Rugby vorbehalten sind, wollten Samstagabend Gäste plötzlich Damentennis sehen. „Britain goes wild“, schrieb die Tageszeitung „Daily Mail“.

Das ist jenes auflagestarke und meinungsbildende Blatt, das nach der Grenzöffnung für Bürger aus Rumänien und Bulgarien 2007 besonders aggressiv die Kampagne gegen Rumänen geführt hatte. Von betrügerischen Hütchenspielen auf den angeblich mit Gold gepflasterten Straßen Großbritanniens bis zu Anschuldigungen, die Schwäne der Queen aus den königlichen Parks zu essen, reichten die Anschuldigungen. Das Blatt wurde später ein Wortführer des Brexit, und gab nicht nur einer Regierung die Richtung vor.

Wer damals aus Rumänien nach Großbritannien kam, galt unter Ausländerfeinden oft als Dieb, Schwindler, Sozialhilfebetrüger – oder gleich alles zusammen. Die häufige Gleichsetzung von Rumänien mit Roma in den Massenmedien schürte weitere Vorurteile. Selbst der damalige rumänische Außenminister Titus Corlatean zeigte sich damals irritiert: „Der Ton der öffentlichen Debatte in Großbritannien gefällt uns nicht.“ Gegen Schlagzeilen wie „Polizei warnt Taschendiebe in der einzigen Sprache, die sie verstehen: Rumänisch!“ blieb seine Aussage „Wir finden das sehr bedauerlich“ freilich recht lahm.

Dass nun ausgerechnet ein Mädchen mit einem rumänischen Vater – und Familiennamen – und einer chinesischen Mutter, die vor 18 Jahren in Kanada geboren wurde, für Großbritannien den größten Triumph im Damentennis seit 1977 holte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Haben die Briten nicht vor fünf Jahren ausdrücklich deshalb für den Brexit gestimmt, um die Grenzen dicht zu machen vor ausländischen Arbeitern, die angeblich den Briten die Arbeit wegnahmen, die Kriminalität in die Höhe trieben und die eingeborene Bevölkerung zu „Fremden in ihrem eigenen Land“ zu machen drohten? Mussten nicht die Johnsons, Smiths und Millers in extremis die Brücke hochziehen vor den anstürmenden Dúbravkas, Džekos und Raducanus?

Familie Raducanu kam schon vor dem Brexit ins gelobte Land. Als Emma zwei Jahre alt war, zogen die Eltern aus Kanada nach London. Die Eltern arbeiten in der Finanzbranche. Emma hat sowohl einen britischen als auch einen kanadischen Pass. Neben einer Weltkarriere im Tennis, die nun begonnen haben könnte, lieferte sie auch Schulleistungen ab, von denen – nicht nur britische – Eltern oft nur träumen können.

Mit ebensolcher „Hingabe und harter Arbeit“, wie die Queen sagte, wie die junge Emma haben Ausländer die britische Wirtschaft in Schwung gehalten. Die Rumänen, die in Nordlondon eine eigene Gemeinde bilden, sind oft am Bau tätig. Seit dem Brexit ist ihre Zahl in Großbritannien um rund 50.000 auf 170.000 gefallen. Heute suchen die Briten händeringend Hunderttausende polnische Handwerker, litauische LKW-Fahrer und bulgarische Erntehelfer. Die Regierung will davon nichts hören: Die Brexit-Anhänger sind ihre Kernwähler. Stattdessen bejubelt der echte Brite nun den Triumph eines in Kanada geborenen rumänisch-chinesischen Mädchens als Erfolg für ein Land, das genau solche Menschen angeblich gar nicht mehr bei sich haben möchte.

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