Brüssel-Briefing

Die wahre Europawahl findet in Deutschland statt

Top candidates for the German Chancellery feature on election campaign billboards
Top candidates for the German Chancellery feature on election campaign billboardsREUTERS
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Der Ausgang der Bundestagswahl hält auch Brüssel in Atem - und nicht zuletzt Ursula von der Leyen. Sollte die CDU die Kanzlerschaft verlieren, könnte ihre Zeit als Kommissionspräsidentin schon nach einer Amtszeit enden.

„Wieso eigentlich machen wir den Amis immer alles nach?“, fragte mich dieser Tage ein Freund, der in der Europäischen Kommission arbeitet. Es ging um die Rede zur Lage der Union, welche Ursula von der Leyen kraft ihres Amtes als Vorsitzende der Europäischen Kommission am Mittwoch in Straßburg halten sollte. Ich konnte ihm keine schlüssige Antwort geben. Außer vielleicht der zeitgeschichtlichen, dass dieses jährliche Rituell daran erinnern lässt, dass Europas Regierungen vor nicht einmal zwei Jahrzehnten noch es für erreichbar und erstrebenswert hielten, den USA folgend sich eine Verfassung zu geben, samt den Insignien staatlicher Eigenständigkeit, wozu auch die jährliche Erklärung des „europäischen“ Präsidenten vor dem europäischen Parlament zählt. Tempi passati, seit 2005 und den beiden abschlägigen Referenden in den Niederlanden und Frankreich ist dieser Traum für zumindest eine Generation ausgeträumt. Die EU ist ziemlich eindeutig auf ein Projekt zurechtgestutzt, dessen Wohl und Wehe vom Gutdünken der Regierungskanzleien in den Hauptstädten abhängt. Womit wir in medias res des heutigen Brüssel-Briefings wären.

Worüber Brüssel redet

„Allzu oft betreiben Sie Diplomatie mit den Mitgliedstaaten, statt Politik mit uns, den europäischen Parlamentariern“, rügte Dacian Cioloș, Klubchef der Liberalen, von der Leyen nach ihrer Rede. Da hat der frühere rumänische EU-Agrarkommissar und kurzzeitige Regierungschef den Nagel auf den Kopf getroffen. Von der Leyen verdankt ihr Amt einzig den Regierungschefs. Sie zogen sie im Juli 2019 in ihrer Not, sich auf keinen wirklich starken Kandidaten einigen zu können, aus dem Hut. Im Parlament überzeugte sie von Anfang an nie. Nur mit Ach und Krach und der historisch knappen Mehrheit von neun Stimmen erhielt sie den Sanktus der Europaabgeordneten. Ganz anders ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker. Der war einigen Staats- und Regierungschefs nicht Recht. Doch als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei bei der Europawahl 2014 hatte er schlauerweise einen Pakt mit seinem sozialdemokratischen Konkurrenten Martin Schulz geschlossen. Die beiden würden einander unterstützen, kraft entsprechender Mehrheiten im Parlament. Damit überrumpelten sie den Europäischen Rat. Vor allem Angela Merkel war dem Vernehmen nach ziemlich unwirsch darüber, dass sie Juncker nicht verhindern konnte.

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