Die Jugend an vorderster Front gegen eine zaghafte Pensionsreform – absurd.
Franzosen demonstrieren gern. Aber nicht alle, die dieser Tage auf die Straße gehen, haben einen guten Grund dafür. Warum ausgerechnet Schüler und Studenten besonders leidenschaftlich dagegen protestieren, dass die Regierung das gesetzliche Pensionseintrittsalter von geruhsamen 60 auf großzügige 62Jahre hinaufsetzen will, ist rational nicht nachvollziehbar. Hallo, wer, außer der malochende Nachwuchs, wird denn für die rüstigen Frührentner zahlen?
Die Argumente, die einzelne Jugendliche in Interviews vorbringen, verraten eine erstaunliche Schlichtheit im ökonomischen Denken: Wenn die Alten später in Pension gingen, sagen sie, gäbe es weniger Jobs für die Jungen. Ganz so, als ob es eine fixe Anzahl von Arbeitsplätzen gäbe, die dann von einer staatlichen Planungsbehörde zentral verteilt werden könnte. Bei solchen Aussagen wundert man sich nicht, warum die Ablehnung des Kapitalismus in der sechstgrößten Wirtschaftsnation der Welt allen Umfragen zufolge besonders ausgeprägt ist. Da haben einige Grundlegendes nicht verstanden.
Mag sein, dass sich der Protest in Frankreich zu großen Teilen gegen Sarkozy richtet. Doch es steht mehr auf dem Spiel als das Schicksal eines eitlen Präsidenten, der weniger hält, als er versprochen hat. Auf dem Spiel steht die Zukunft Frankreichs. Wenn auch diese Regierung vor dem Druck der Straße kapituliert, noch dazu bei einer ohnehin viel zu zaghaften Anhebung des Pensionsalters, dann muss sich das Land ernsthaft fragen, ob es überhaupt noch reformfähig ist.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2010)