Geldpolitik

EZB erwartet 2022 ein Ende des Inflationsspuks

APA/AFP/DANIEL ROLAND
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EZB-Chefin Lagarde erwartet, dass das mit der Pandemie aufgetauchte Inflationsgespenst verschwindet, wenn die Krise ausgestanden ist. Durch die anstehenden Lohnrunden könnten im Aufschwung jedoch neue Inflationssorgen aufkommen, warnen Experten.

Die EZB gerät mit ihrer Nullzinspolitik angesichts der hohen Inflation im Euroraum zusehends unter Beschuss. In Deutschland etwa kochte das Thema in der heißen Phase vor der Bundestagswahl hoch. EZB-Chefin Christine Lagarde will jedoch nicht am Nullzins rütteln. Sie erwartet, dass das mit der Pandemie aufgetauchte Inflationsgespenst verschwindet, wenn die Krise ausgestanden ist.

Dann dürften auch die Materialengpässe etwa bei Stahl und Holz der Vergangenheit angehören, die für massive Kostensteigerungen sorgen und den Wirtschaftsaufschwung noch hemmen. "Für das Jahr 2022 stehen die Chancen aber gut, dass die Wirtschaft ihren Weg in die Normalität wieder aufnimmt, auch weil sich die Situation auf den Arbeitsmärkten stetig bessert", so der Vizepräsident des Forschungsinstituts IWH, Oliver Holtemöller.

Lohnrunden könnten zu neuen Inflationssorgen führen

Doch damit könnten neue Inflationssorgen aufkommen. Denn wenn sich Arbeitnehmer in den anstehenden Lohnrunden angesichts einer Inflationsrate von zuletzt drei Prozent in der Eurozone einen zu kräftigen Schluck aus der Lohnpulle gönnen, könnte sich der Preisauftrieb verfestigen. Dieser Gefahr ist sich die EZB durchaus bewusst, wie die deutsche Direktorin Isabel Schnabel einräumt: "Auch die Bürgerinnen und Bürger erwarten nun eine kräftigere Preisdynamik, was die zukünftige Lohndynamik verstärken kann."

Lagarde wies nach der jüngsten Zinssitzung ausdrücklich darauf hin, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Herbst ein waches Auge auf die Tarifrunden haben wird, wobei "wahrscheinlich ein stufenweiser und moderater Anstieg" der Löhne zu erwarten sei.

Laut dem deutschen Tarifpolitik-Experten Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut IW stehen die Verhandlungen noch unter dem Eindruck der Pandemie. "Wenn wir die Krise hinter uns gelassen haben, erwarte ich eine expansivere und dann auch aggressivere Lohnpolitik." Auch wenn die EZB mit ihrer Erwartung einer nachlassenden Inflation recht behalte, könnten die Gewerkschaften bei einem Aufschwung am Arbeitsmarkt, bei dem vermehrt Fachkräfte gefragt sind, am Verhandlungstisch wieder stärker auftrumpfen. Sie würden dann wohl darauf verweisen, dass sie während der Krise lange still gehalten und zwar Coronaprämien, aber oft keine strukturellen Prämien erhalten haben. So konnte nun auch die Lokführergewerkschaft GDL im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn Coronaprämien durchsetzen. "Wenn die Gewerkschaften mehr Rückenwind durch die Konjunktur haben, können sie in den Verhandlungen auch forscher auftreten", meint IW-Experte Lesch. Bei guter Konjunktur und durch solche Nachholeffekte sei nicht auszuschließen, dass die Lohnpolitik inflationstreibend wirke.

EZB-Direktorin Schnabel: "Straffung würde Aufschwung abwürgen"

Keinesfalls will sich die Zentralbank aber in Sachen Inflation zu früh aus der Reserve locken lassen, auch wenn die Teuerungsrate zuletzt mit 3,0 Prozent im Euroraum auf den höchsten Stand seit zehn Jahren hochschnellte. Diese liegt damit auch weit über dem Ziel der EZB von 2,0 Prozent. "Eine Straffung der Geldpolitik würde den beginnenden Aufschwung abwürgen und das Erreichen unseres Inflationsziels erneut infrage stellen", warnte EZB-Direktorin Schnabel.

Neuerdings spricht die Zentralbank mit Blick auf das Inflationsgeschehen wieder von einem Buckel (hump): Das bedeutet mit Blick auf die Statistik, dass sich die Inflationskurve nach einem zeitweiligen Plateau wieder abflacht. Diese bereits unter dem früheren EZB-Chef Jean-Claude Trichet gängige Wortwahl zeigt, dass die Währungshüter nach dem Aufflackern der Inflation mit einer Normalisierung rechnen. Diese gelassene Haltung wird auch durch die Projektionen der Volkswirte der Zentralbank gestützt: Sie gehen davon aus, dass die Inflationsrate in den kommenden Jahren nicht die von der EZB als Ideallinie angestrebte Marke von 2,0 Prozent erreichen wird. Somit wäre aus der Warte der EZB betrachtet künftig wieder eher zu wenig als zu viel Preisdruck vorhanden.

(APA)

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