Morgenglosse

Antibiotika: Wenn der Schutz des Menschen zweitrangig wird

Die Presse (Fabry)
  • Drucken

Das EU-Parlament hat sich gegen Reserveantibiotika ausgesprochen, die der Humanmedizin vorbehalten bleiben sollten. Die Argumentation der Gegner war entlarvend.

Was ist ein Menschenleben wert? Die zunehmende Antibiotikaresistenz droht neben dem Klimawandel zu einem der großen Probleme des Jahrhunderts zu werden. In beiden Fällen stehen jedoch kurzsichtige Wirtschaftsinteressen und Angst vor einem Strukturwandel den notwendigen Reformen entgegen. Wohl auch deshalb hat nun das Europaparlament mehrheitlich dagegengestimmt, fünf Antibiotika-Gruppen als Reserveantibiotika einzustufen, die vorwiegend für die Humanmedizin reserviert bleiben sollten.

Damit hätte garantiert werden können, dass es sichere Alternativen für Menschen gibt, bei denen herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken – ein Schutz insbesondere gegen lebensgefährliche bakterielle Erkrankungen. Aber durchgesetzt hat sich vorerst nicht das Menschenwohl, sondern jenes der Agrargroßbetriebe. Denn Antibiotika werden in der Massentierhaltung eingesetzt, um die Ausbreitung von Krankheiten in engen Ställen zu verhindern. 44 Tonnen Antibiotika werden laut Ages jährlich allein in Österreich in der Veterinärmedizin eingesetzt – oft präventiv.

Dieser Einsatz erhöht über die Nahrungskette auch die Antibiotikaresistenz von Menschen. Aber als es nun darum ging, der Humanmedizin einen Vorrang einzuräumen, machten Horrormeldungen von Tierärzten die Runde, dass Hund und Katz plötzlich nicht mehr behandelt werden könnten. Was für eine infame und entlarvende Argumentation: Sie spielt mit Emotionen, statt sich auf Fakten zu konzentrieren. Denn es ging in der von den europäischen Grünen vorgeschlagenen Regelung lediglich darum, die Massenanwendung von fünf Antibiotikagruppen in der Veterinärmedizin aufzuheben. Sie sollten bei Tieren nur noch in Einzelfällen Anwendung finden. Hund und Katz hätten sie bei Gefahr um ihr Leben also weiterhin erhalten.

Wer spielt da ein solches Spiel? Es sind nur vordergründig die politischen Gegner der Grünen. Es sind vielmehr Vertreter der großen Agrarbetriebe und der mit ihnen verbundenen Wirtschaftszweige, der einzigen Gruppe, die daran Interesse hat, diesen Vorrang des Menschen abzuschmettern. Damit sie weiterhin ihre Art der Massentierhaltung betreiben kann, nicht umdenken oder gar umstrukturieren muss. Sie ist aus ähnlichen Gründen auch gegen eine ambitionierte Klimapolitik. Und im Europaparlament ist sie gut repräsentiert.

Noch ist das letzte Wort freilich nicht gesprochen: Die EU-Kommission arbeitet neue Vorschläge zu Reserveantibiotika aus. Der abgeschmetterte Antrag der Grünen bot allerdings einen Vorgeschmack darauf, wie mit unlauteren Mitteln weiterhin gegen Gesundheitsinteressen argumentiert werden dürfte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.