Im Kino

Evi Romen: „Der Südtiroler schämt sich immer ein bisserl“

Hochwald
HochwaldAmour Fou
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Lang hat die Südtirolerin Evi Romen den „typisch“ österreichischen Filmhumor am Schneidetisch mitgeformt. Ihre erste Regiearbeit ist ein moderner Heimatfilm: In „Hochwald“ versucht ein Bursche, seiner Rolle im Dorf zu entfliehen.

Als im Jahr 2015 Attentäter das Bataclan in Paris stürmten, war auch ein Südtiroler unter den Opfern. Die in Wien lebende, aus Bozen stammende Evi Romen hörte es im Regionalradio. In ihrem Regiedebüt erzählt sie nun von einem jungen Südtiroler ohne Zukunftsperspektive (gespielt von Thomas Prenn), der sich in seinem Dorf fehl am Platz fühlt und der einen Anschlag überlebt – anders als sein Freund, der mit Ansehen und Lebenschancen reich gesegnet ist. Zurück im titelgebenden Hochwald wird er unsanft mit der Frage konfrontiert: Hat es den Falschen erwischt?

Statt idyllischer Postkartenbilder zeigt Evi Romen das Bergdorf aus der Perspektive eines Einheimischen, der sich dort verloren fühlt. Der „Presse“ erzählte die langjährige Cutterin, die nun in den Regiestuhl wechselte, warum sie die Linien der sexuellen Orientierung in ihrem Film bewusst zerfließen lässt, wie die Südtiroler auf ihren Film reagierten, wie sie einst den Wiener Humor verständlich machte und warum sie Filmschnitt liebt, aber sich trotzdem keine Rückkehr an den Schneidetisch erlaubt.

Die Presse: Hochwald, ein fiktives Bergdorf in Südtirol, strahlt wenig Alpenromantik aus. Es ist ein beengender Ort, von dunklen Wäldern eingekesselt, einer strikten sozialen Ordnung unterworfen. Ist „Hochwald“ ein Anti-Heimatfilm?

Evi Romen: Ich habe den Film in keiner Anti-Haltung gedreht. Ich sehe ihn eher als Hommage, als kleines Stillen von Heimweh, einer Sehnsucht nach etwas, von dem man sich eigentlich freut, dass man ihm entflohen ist. Ich habe in meiner Jugend meine Sommerfrische in einem ähnlichen Ort verbracht, der aber bei Gott nicht so eng und so bigott war. Ich habe versucht, eine allgemeingültige, alpine, katholische Umgebung zu gestalten, der man entfliehen möchte.

Entfliehen will auch die Hauptfigur, Mario. Er ist eine Art Traumtänzer am Abgrund, er taumelt durchs Leben, ist Drogen und religiösen Verheißungen zugeneigt. Ist er Teil einer neuen Lost Generation?

Ich glaube nicht, dass „lost“ eine Frage der Generation ist, sondern des inneren Zustands. Im Lauf des Lebens lernt man nur immer besser zu verbergen, wie „lost“ man letztlich ist. Man baut Schutzschilder davor, einen Beruf, Familie oder was auch immer. Tatsächlich ist das Gefühl, das Mario hat, aber den meisten bekannt.

Es gibt vieles, was in diesem Dorf nie ausgesprochen wird. Vor allem, wenn es um Sexualität geht. Auch als Zuschauer weiß man nicht genau, wo die Grenzen der sexuellen Orientierung verlaufen.

Geht es uns nicht allen so, dass wir das nie genau wissen? Ich habe mir beim Schreiben keine Sekunde überlegt, in welche Schublade ich das sexuell gebe. Der Grundgedanke war, dass hier zwei Freunde sind – und auch zwischen Freunden gibt es immer wieder erotische Momente. Im Lauf des Films verändert sich die Sexualität fließend. Die sexuelle Orientierung ist ja nicht in Stein gemeißelt. Who cares? Ich habe das Gefühl, je akzeptierter sexuelle Neigungen sind, desto mehr reden wir plötzlich darüber, dass sie nicht akzeptiert sind.

Hochwald
HochwaldAmour Fou

Oben ist das katholisch geprägte Bergdorf, unten im Tal setzt eine islamische Community neue Reize. Warum fühlt sich der junge Protagonist überhaupt von Religion angezogen? Seine Berührungen damit waren doch stets belastend.

In einem modernen Heimatfilm müssen Schuld und Sühne, all diese Verbote und Sünden vorkommen. Heute haben wir auch andere Religionen im alpinen Raum. Warum sich die Hauptfigur dem nähert, hat aber weniger mit Religion als mit der Sehnsucht nach Heilung zu tun. Ich finde es nicht überraschend, dass sich Mario der Religion wieder zuwendet, obwohl er eigentlich nichts damit am Hut hat.

Wofür steht die weiße Perücke, die er sich immer wieder aufsetzt?

In Österreich würde man das Narrenkappl nennen. Es ist eine Tarnung und eine Verkleidung, die mich zu einem anderen macht. Dann kann ich traumtanzen, weil ich schon angekündigt habe, dass das nicht ich bin. Vom Minnesang bis zum Theater gibt es diese Art, zu kennzeichnen: Jetzt spinnen wir ein bisschen. Ich habe gesehen, dass Leute, die als Außenseiter, als "Dorftrottel" bezeichnet werden, dann auch anfangen, sich so zu benehmen und zu kleiden. Es ist eine Mischung aus Provokation und Rechtgeben: Ja, stimmt, ich bin so.

Wie haben die Südtiroler auf den Film reagiert?

Gemischt. Ich dachte, ich mache ein Geschenk an die Heimat. Die Meinungen reichten von einem euphorischen „Endlich ein Film, so wie es wirklich ist“ bis „So sind wir nicht ganz“. Aber viele haben sich wiedererkannt. Die Authentizität wurde sehr begrüßt: dass keine touristischen Bilder gezeigt werden, dass wir wirklich so sprechen – bis hin zum schlechten Italienisch. Der Südtiroler schämt sich immer so ein bisserl. Er schämt sich für seinen Dialekt, für sein schlechtes Italienisch, dafür, dass er nicht weiß, ob er Italiener oder Österreicher ist. Das hat sich auch gezeigt in der Kritik: „Und Drogensüchtige haben wir auch nicht!“

Sie haben vor Ihrem Regiedebüt 30 Jahre lang als Editorin gearbeitet und viele Komödien geschnitten, von den Brenner-Krimis bis zu „Braunschlag“. Haben Sie dem, was als typisch österreichischer Film- und TV-Humor gilt, als Südtirolerin etwas hinzugefügt?

Meine Handschrift ist: Ich hab diesen schwarzen Humor einfach nicht verstanden. Ich bin mit einem ganz anderen aufgewachsen, einem derberen, gemischt mit italienischer Leichtigkeit. Mein erster Job war „Kaisermühlenblues“, da habe ich nicht einmal verstanden, was die Leute sagen. Es ist eine Aufgabe des Schnitts, dass man etwas begreiflich macht für das Publikum. Ich habe einen Rhythmus gebaut, der für alle verständlich ist. Das wichtigste an Komödien ist das Timing. Die Leute in Wien haben ein anderes Humor-Timing, ein sehr langsames, pointiert gesetztes. Ich bin jemand, der spontan lacht, wenn ich etwas lustig finde. Aber im Osten Österreichs hab ich festgestellt, dass man zuerst einmal schockiert wird und nicht weiß: Darf ich jetzt lachen? Und warten muss, bis der Witzerzähler lacht. Vielleicht liegt es an der guten Erziehung oder der katholischen Religion, dass man abwarten muss, ob man auch wirklich lachen darf – denn so bitterböse Witze gibt es auf der ganzen Welt nicht.

Im Schnitt bringt man vor allem die Arbeit der anderen hervor. Muss man dafür uneitel und auch ein bisschen selbstlos sein?

Ich bin keine Rampensau. Das Interessante am Filmemachen ist das Kreieren, und das Schönste ist da eigentlich der Schnitt, die Montage. Das ist auch die einzige Kunstform, die nur dem Film gehört. Alles andere – Maske, Ausstattung – gab es ja schon. Es gibt keine schönere Arbeit, als den Film zum Atmen zu bringen beziehungsweise als Geburtshelfer, als letzte Instanz vor dem Publikum, zu begleiten.

Ausgerechnet das haben Sie jetzt abgegeben. „Hochwald“ ließen Sie von Karina Ressler schneiden.

Aufhören muss man, wenn es am schönsten ist. Ich hab den Österreichischen Filmpreis bekommen für „Casanova Variations“, habe mir aber gedacht, dass ich ihn eigentlich nicht dafür bekommen hab, sondern für mein Lebenswerk. Und wenn Lebenswerk im Spiel ist, sollte man entweder in Pension gehen oder was anderes machen. Also hab ich mir noch eine Challenge gesucht. Ich liebe den Schnitt. Aber ich sollte jetzt nicht den Fokus verlieren. Es war schwer genug, innerhalb der Branche als Regisseurin wahrgenommen zu werden. Ich hatte für „Hochwald“ neun Filmpreis-Nominierungen, aber keine für die Regie. Wenn ich jetzt in den Schneideraum zurückgehe, werde ich ja erst nicht ernst genommen.

Fabry

Zur Person

Evi Romen wurde 1967 in Bozen geboren. Als Jugendliche war sie am Konservatorium und fotografierte, bevor sie in Wien Kamera und Schnitt studierte. Sie schnitt u. a. die Brenner-Krimis und einige Produktionen von David Schalko, ihrem Ehemann („Aufschneider“, „Braunschlag“, etc.). Zuletzt wagte sie sich an Drehbuch (für die Serie „M – eine Stadt sucht einen Mörder“) und Regie: „Hochwald“ läuft jetzt im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2021)

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