Fall „Ischgl“: Streit um überstürzte Abreise aus den Corona-Gebieten

Der Sohn des Verstorbenen, VSV-Chef Peter Kolba und Klägeranwalt Alexander Klauser im Justizpalast (v. li.).
Der Sohn des Verstorbenen, VSV-Chef Peter Kolba und Klägeranwalt Alexander Klauser im Justizpalast (v. li.).APA/Hans Punz
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Weil im Vorfeld kein Vergleich zustande kam, findet sich die Republik in der Beklagten-Rolle wieder.

Der Prozessreigen ist eröffnet. Unter den Augen der ikonischen Statue der Justitia startete am Freitag im Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen planmäßig die erste große Schadenersatz-Verhandlung zur Causa Ischgl.

Die Witwe des pensionierten Journalisten Hannes Schopf – dieser war ein Jahrzehnt lang Chefredakteur der „Furche“ – und der Sohn des Verstorbenen klagen die Republik Österreich auf 101.881 Euro und 77 Cent. Schopf habe sich infolge der zögerlichen Warnungen der Behörden vorigen März im Skiurlaub in Ischgl mit Covid-19 angesteckt. Die Verantwortlichen hätten die damals schon für sie erkennbare Gefahr heruntergespielt, heißt es weiter.

Spätestens am 13. März, bei der Abreise in einem überfüllten Bus, müsse sich Schopf angesteckt haben. Die Fahrt dauerte damals stundenlang. Taxis waren keine mehr zu bekommen.

Am Rande der Verhandlung, die wegen des regen, auch internationalen Medieninteresses – und unter 3G-Regeln – freilich nicht in einem kleinen Saal, sondern im Festsaal des Obersten Gerichtshofes über die Bühne ging, erklärte der Sohn des Verstorbenen, der Familie gehe es nicht um Geld, sondern um Gerechtigkeit. Sollte der Prozess gewonnen werden, so werde das Geld gespendet. Sein Vater habe bei Lebzeiten gern die Caritas unterstützt.

Dieser erste Prozess, dessen Urteil nun schriftlich ergehen soll, könnte nur der Vorbote für eine Klagslawine sein. Unter Koordination des Verbraucherschutzvereins (VSV) sind bereits andere Klagen eingebracht worden. Dutzende Aufforderungsschreiben an die Finanzprokuratur liegen bereits vor. Weitere Klagen aus dem Ausland, etwa aus der Schweiz, den Niederlanden, Belgien oder Großbritannien seien zu erwarten, teilte VSV-Obmann Peter Kolba mit. Probleme gebe es mit österreichischen Rechtsschutzversicherungen. Diese würden unter Verweis auf eine Pandemieklausel die Deckung ablehnen. Zu Unrecht, wie der VSV meint.

Kritik auch am Bundeskanzler

Aber zurück zum ersten Prozess: Hier wurde nun auch auf Bundeskanzler Sebastian Kurz verwiesen, der am 13. März 2020 in einer eilig einberufenen Pressekonferenz am frühen Nachmittag Quarantäne-Maßnahmen bekannt gegeben hatte. Dazu heißt es in der Klage: „Die Räumung des Paznauntals fand am 13. 3. 2020 völlig überraschend und chaotisch statt.“ Die zugehörigen Verordnungen hätten laut laut parlamentarischer Anfragebeantwortung am Abend in Kraft treten sollen. Daher heißt es in der von Kläger-Anwalt Alexander Klauser eingebrachten Klage weiter: „Doch Bundeskanzler Kurz hat diese Verordnungen bereits um 14 Uhr auf einer Pressekonferenz in Wien (...) ohne Absprache mit Landeshauptmann Platter öffentlich gemacht und damit eine unkontrollierte Ausreise von Touristen geradezu provoziert und damit wesentlich zur Verbreitung des Virus auf ganz Europa beigetragen.“

Auch im Bericht der von der Tiroler Landesregierung beauftragten unabhängigen Expertenkommission (sie prüfte das Behörden-Management) steht: „Die Ankündigung der Quarantäne über das Paznauntal und St. Anton durch den österreichischen Bundeskanzler erfolgte ohne dessen unmittelbare Zuständigkeit, überraschend und ohne Bedachtnahme auf die notwendige substanzielle Vorbereitung.“ Dies habe eine „unkontrollierte Abreise“ bewirkt.

Dass diese Vorkommnisse kausal für die Erkrankung von Hannes Schopf war, müssen die Kläger beweisen. Die Finanzprokuratur hält dagegen: Es sei unklar, ob sich der Journalist im Bus angesteckt habe. Und: „Im Übrigen werden die klagenden Parteien nachzuweisen haben, dass der Verstorbene sich überhaupt in Ischgl (...) angesteckt hat.“

Am Rande mag man sich auch fragen, was diese und andere Klagen für die Tourismusregion Ischgl bedeuten. Nun, dies wird die kommende Skisaison zeigen. Als Fingerzeig darf die Empfehlung der erwähnten Kommission gelten: „Ziel muss für die Dauer des Bestehens der Infektionsgefahr das Fernhalten von Gästen sein, die überwiegend wegen Alkoholkonsums und Après-Ski-Feiern anreisen. Das sportliche Erlebnis des Skifahrens sollte allein im Vordergrund stehen.“

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