Russland

„Neue Leute“ bringt frische Brise ins Parlament

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Die Neo-Partei Neue Leute hat den Sprung in die Duma geschafft. Die Partei der Unternehmer und des Mittelstands versteht sich als kritische Stimme innerhalb des Systems. Mit dem Kreml will sie es sich nicht verscherzen.

Sie reden von der Besonderheit jedes einzelnen Menschen, setzen sich für Wahlfreiheit ein und haben gar Russlands außerparlamentarischer Opposition angeboten, deren Vorschläge in die Duma zu tragen. Das russische Parlament ist nicht dafür bekannt, sich die Sorgen und Nöte der außerparlamentarischen Opposition – vor allem Liberale und Anhänger des inhaftierten Alexej Nawalny – auch nur in Ansätzen anzuhören.
Die Neo-Partei Neue Leute (Nowyje Ljudi) gibt sich nun als kritische Stimme innerhalb des Systems. Sie sind die Quasi-Realos im russischen Autoritarismus. Vorläufig sind sie mit 13 Sitzen in der Duma vertreten. Das ist nicht viel im Vergleich zur Zweidrittelmehrheit von 324 Sitzen der Putin-Partei von Einiges Russland.

Doch mit den Neuen Leuten sitzt nach fast 20 Jahren wieder eine fünfte Partei im Parlament. „Ein interessantes Experiment“, nennen es russische Politologen und sehen den Erfolg der Neuen in der gelungenen Vermarktung. Viele Wähler seien ermüdet von den immer gleichen Gesichtern, den immer gleichen Sprüchen der Kommunisten, den pseudoliberalen Populisten um den Krakeeler Wladimir Schirinowski und dem unscheinbaren Sergej Mironow mit seiner durch den nationalistischen Rebell Sachar Prilepin erweiterten Partei Gerechtes Russland.

Ungefährlich für den Kreml

Neue Leute strebt explizit keinen Machtwechsel an, will nicht aufmüpfig sein, sondern „einfach etwas tun“, wie sie sagt. Für den Kreml ist sie ungefährlich, für so manche Wähler eine Möglichkeit, auf etwas anderes zu setzen, ohne viel zu riskieren.

Neue Leute entstand im März 2020, kurz vor den Regionalwahlen im Land. Geradezu in Windeseile hatte es die Partei geschafft, sich zu registrieren. Ein Prozess, der stutzig machte und den Neuen, meist jungen Unternehmern, das Label einbrachte, ein „Kreml-Projekt“ zu sein. „In Russland gibt es entweder Putin oder Nawalny, ein Schwarz und Weiß“, pflegt Alexej Netschajew, der Gründer der Partei, stets auf Kritik zu reagieren – und fordert: „Wir müssten uns die Grautöne anschauen.“

Ex-Bürgermeisterin von Jakutsk

Er selbst ist einer, der nach Veränderungen ruft, aber Mitglied in der „Volksfront“ ist, einem Projekt Wladimir Putins, in dem sich Unternehmen und Organisationen zusammentun, um letztlich die Macht des Kreml zu stützen. Mit seinem Kosmetikunternehmen „Faberlic“ hat Netschajew ein patriotisches Nachrichtenprogramm geschaffen, das die Errungenschaften Russlands anpreist.

An seine Seite hat er eine der eigenwilligsten Politikerinnen des Landes geholt, obwohl er stets betont, wie wichtig „No names“ in seiner Partei seien. Sardana Awxentjewa war Bürgermeisterin in Jakutsk, der kältesten Stadt der Welt im Osten des Landes. Sie widersprach Putin, stimmte gegen dessen Verfassungsreform. Im Jänner erklärte sie aus gesundheitlichen Gründen ihren Rückzug, um im April als Aushängeschild der Neuen Leute zurückzukehren.

Für liberale Mittelklasse

Die Partei positioniert sich als unternehmerfreundlich und setzt vor allem auf Regionalpolitik: bessere Straßen, bessere Müllabfuhr, bessere Kindergärten. Der Staat sehe in den Wählern stets unvernünftige Kinder, erklärte einst der Chef des Parteivorstands. „Wir erzählen keine Märchen und lullen die Leute nicht ein.“ Ein löbliches Unterfangen in einem Land, in dem die Menschen einander misstrauen. Andrej Kolesnikow vom Carnegie-Zentrum in Moskau nennt die Neuen eine „Imitationspartei, die die liberale Mittelklasse anspreche.

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