Kino

Slash-Filmretrospektive: Der Horror der Folklore

Christopher Lee als Lord Summerisle in "The Wicker Man" (1973)
Christopher Lee als Lord Summerisle in "The Wicker Man" (1973)(c) Kinowelt GmbH
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Ab 24.09. zeigt das Slash-Festival in Wien eine von Filmhistorikerin Kier-La Janisse kuratierte Schau zu Folk-Horror. Ein Genre zwischen Gruselmystik und erotischem Delirium.

Haben Sie schon einmal einen jugoslawischen Horrorfilm gesehen? Wenn nicht: Probieren Sie es doch mit Ðorđe Kadijevićs „She-Butterfly“. Über weite Strecken ist das einfach ein atmosphärischer Wiesenfilm: Eine Blondine lustwandelt in malerischer Natur, während sich ein mittelloser Jüngling um ihre Gunst bemüht – und eine Gruppe unterbeschäftigter Dorfbewohner nach Möglichkeiten sucht, ihren Mitmenschen auf die Nerven zu gehen. Nur eine Stunde nimmt das Ganze in Anspruch. Dennoch dauert es, bis man sieht, dass sich unter der harmlosen Oberfläche eine zweite, weit weniger liebliche Realität verbirgt.

„She-Butterfly“ läuft beim diesjährigen Slash-Filmfest als Teil einer Retrospektive, die sich dem sogenannten Folk-Horror widmet. Und in ihrer geografisch-thematischen Vielfalt geeignet ist, einen neuen Blick aufs Gruselkino insgesamt zu eröffnen. Filme aus zehn Ländern und vier Kontinenten umfasst die Sektion, die fröhlich das Hohe mit dem Niedrigen vermischt.

Riten, Artefakte – und jede Menge Sex

Da steht etwa ein waschechter Autorenfilm wie „Penda's Fen“, Alan Clarkes hypnotisches Psychogramm eines Vikar-Sohns, der über die Begegnung mit archaischen Mythen sexuell erwacht, neben „Blood on Satan's Claw“: ein hochgradig unterhaltsames, aber doch eher rustikales Stück Schmuddelkino, in dem wildgewordene Provinzler sich eine Teufelsfigur aus menschlichen Hautpartien zusammenbasteln.

Manche Streifen, wie „Il demonio“ (worin der Liebeswahn einer Frau mit dörflichem Aberglauben kollidiert), nehmen ethnografische Recherchen als Ausgangspunkt. Andere, wie „Dark Waters“ (ein zwischen Mystizismus und blutigem Pulp-Kino pendelnder Trip in ein vom rechten Glauben weit abgefallenes Nonnenkloster), holen sich ihre Inspiration eher bei Metal-Plattencovern und in verrufenen Ecken von Videotheken.

Was diese Werke in Tonlage und Ästhetik verbindet, ist ein Interesse an den Texturen und Artefakten von Gemeinschaften, die noch nicht in der Moderne angekommen sind. Folk-Horror ist fasziniert von traditionellen Prozessionen, Verkleidungen, Ritualen, es wimmelt nur so von mysteriösen Schriftrollen und Symbolen – und vor allem gibt es jede Menge Sex. (Weibliche) Sexualität hat dabei stets etwas Exzessives und Beängstigendes, aber auch Befreiendes an sich. Immer wieder geht es um ungehorsame nackte Körper, die ihr Begehren nicht in den engen Grenzen der Kleinfamilie einhegen lassen wollen. Aus dieser Perspektive erklärt sich, warum das Genre seine Blütezeit in den 1960er- und 1970er-Jahren hatte: Die Fantasien und Ängste der sexuellen Revolution werden hier zu einem erotischen Delirium übersteigert, in dem Himmel und Hölle nicht voneinander zu trennen sind.

Das Dorf, das in „The Wicker Man“ einen paganistischen Kult betreibt, ist unschwer als Hippie-Zerrbild erkennbar. „Sukkubus“, der einzige deutschsprachige Beitrag zur Reihe, wirkt wie die verschrobene Bearbeitung radikaler Feminismus-Ausläufer der 1970er und 1980er. Da basteln sich sexuell ausgehungerte Hirten (darunter: Peter Simonischek) eine Sexpuppe aus Stroh, die sich in eine Frau aus Fleisch und Blut verwandelt. Eine klassische Männerfantasie? Nun ja: Be careful what you wish for . . . 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2021)

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