Frankreich versinkt immer tiefer im Streik-Chaos

Youths react during clashes with police forces in Lyon, central France, Wednesday, Oct. 20, 2010. Fre
Youths react during clashes with police forces in Lyon, central France, Wednesday, Oct. 20, 2010. Fre(c) AP (Laurent Cipriani)
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Demonstranten liefern sich bei der Besetzung von Treibstofflagern ein Katz- und Mausspiel mit der Polizei. Der Beschluss der Pensionsreform verzögert sich, die Regierung hofft nun auf den Ferienbeginn.

In Frankreich gehen die Proteste gegen die Pensionsreform weiter. Am frühen Donnerstag blockierten Demonstranten vorübergehend die Zufahrt zum Flughafen von Marseille. In der Gegend von Le Havre sperrten Demonstranten eine Autobahn. Auch 300 Gymnasien und waren am Donnerstag Protestaktionen betroffen, 3000 Schüler waren auf der Straße.

In Lyon kam es außerdem zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Jugendlichen, als diese ein Auto umwarfen und die Sicherheitskräfte Tränengas einsetzten. Bereits in der Nacht hatten Randalierer in der Stadt mit Steinen auf die Polizei geworfen. Präsident Nicolas Sarkozy bezeichnete die Vorgänge als "skandalös".

Minister sorgt für peinlichen Versprecher

Auch bei der Benzinversorgung müssen Franzosen sich noch mehrere Tage auf Probleme einstellen, Innenminister Brice Hortefeux räumte ein, dass Schwierigkeiten bei der Verteilung des Treibstoffs bestehen. "Es gibt aber Reserven für mehrere Wochen", sagte er dem Sender Europe 1. Umweltminister Jean-Louis Borloo wurde unterdessen kritisiert, weil er die Schwierigkeiten bei der Benzinversorgung anfangs schlicht geleugnet hatte. "Er hat sich um eine Null vertan und von 300 statt von 3000 Tankstellen ohne Benzin gesprochen", schimpfte ein ungenannter Ministerkollege im "Figaro".

Trotz der Ankündigung von Präsident Nicolas Sarkozy, alle Blockaden von Benzindepots zu beenden, war am Donnerstagvormittag der Zugang zu mindestens 14 Trebistofflagern versperrt. Demonstranten liefern sich zurzeit Katz- und Mausspiele mit der Polizei und besetzen die Depots immer so lange, bis die Sicherheitskräfte auftauchen

Doch auch wenn alle Depots wieder zugänglich sein sollten, ist das Versorgungsproblem nicht gelöst. Mittlerweile sind alle zwölf Raffinerien des Landes komplett heruntergefahren. Sie wieder in Betrieb zu setzen, braucht schon aus technischen Gründen mehrere Tage.

Demonstranten durchbrechen Polizei-Blockade

Bereits am Mittwoch hatten Streikende die Zufahrt zum größten Pariser Flughafen Charles de Gaulle versperrt und eine Blockade der Polizei durchbrochen. Am Flughafen Orly wurde vorübergehend die Straße zu einem der beiden Terminals blockiert. Reisende mussten mit ihrem Gepäck Hunderte Meter zu Fuß gehen.

US-Popstar Lady Gaga sagte unterdessen zwei in Paris geplante Konzerte wegen der Streikwelle ab. Auf ihrer Website wurde die Absage damit begründet, dass es aufgrund der aktuellen Situation unsicher sei, ob die Lastwagen wie geplant das Equipment für die Show der Sängerin zu den Konzerten transportieren können.

1900 Demonstranten verhaftet

Die Proteste gegen die Anhebung des Pensionsalters waren in den vergangenen Tagen radikaler geworden. Allein am Mittwoch seien knapp 200 mutmaßliche Randalierer in Polizeigewahrsam gekommen, sagte Hortefeux. Seit dem 12. Oktober wurden 1.900 Menschen vorübergehend festgenommen, unter ihnen auch Minderjährige, die dem Jugendrichter vorgeführt wurden. "Frankreich gehört nicht den Randalierern. Einige nutzen Teile unseres Landes als Schlachtfeld, das ist so nicht hinnehmbar", sagte der Innenminister.

Regierung hofft auf Ferienbeginn

Die Regierung hofft darauf, die Pensionsreform noch während der am Wochenende beginnenden Herbstferien verabschieden zu können, um der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine Abstimmung im Senat war ursprünglich für Donnerstag geplant, verschiebt sich aber voraussichtlich bis zum Wochenende. Die Regierungsparteien werfen der Opposition eine Verzögerungstaktik vor.

Kern der Pensionsreform ist die geplante Anhebung des Mindestalters für die volle Pension von 60 auf 62 Jahre. Wer nicht lang genug in die Pensionskasse einzahlen kann, soll erst mit 67 statt wie bisher mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen können.

(Ag.)

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