Filmkritik

"No Time to Die": Der Spion, dem sie auf die Finger klopften

Keine Zeit zu urlauben: Daniel Craig spielt James Bond in "No Time to Die" zum letzten Mal.
Keine Zeit zu urlauben: Daniel Craig spielt James Bond in "No Time to Die" zum letzten Mal.(c) Nicola Dove
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Nach etlichen Verschiebungen startet der neue Bond-Film „No Time to Die“ in den Kinos. Die Branche setzt viel auf diesen Blockbuster, der seine Hauptfigur behutsam dem Zeitgeist anpasst – und die Ära Daniel Craig würdevoll ausklingen lässt.

Sicher ist sicher. Aber nur kugelsicher ist sicher genug. Dann kann man sich auch im Sportwagen zurücklehnen, Schachzüge planen und Asse aus den Anzugärmeln kramen, während Geschosse gegen die Windschutzscheibe prasseln: Ein Tag wie jeder andere für James Bond. Doch Außenpanzerung reicht nicht aus. Auch das Herz des Agenten braucht einen Tresor, der in der Regel schwer zu knacken ist. Der Spion, den wir lieben, liebt nur widerwillig zurück, meist geht seine Sicherheit vor. Wird sie kompromittiert, kennt er kein Pardon.

James Bond: Jedenfalls eine sichere Bank. Für seine Auftraggeber und für das Kino, das sich in Pandemiezeiten nach verlässlichen Zugpferden sehnt. Der britische Superagent war schon 24 Mal ein „winning horse“. Auch auf seinen jüngsten Film wurde viel gesetzt. Von einer coronagebeutelten Filmindustrie, die sich einen Kassenschlager wie damals verspricht. Damals! Als voll besetzte Lichtspielhäuser dem Publikum noch keine Ansteckungssorgen bereiteten. Als die Streaming-Konkurrenz noch nicht so verbissen an Kinosesseln sägte.

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Zumal Erwartungen an das letzte Bond-Abenteuer mit Daniel Craig hoch gesteckt sind. Und immer wieder neu geschürt wurden: Kein jüngerer Film wurde so oft großspurig angekündigt und wieder verschoben wie „No Time to Die“. Entsprechend majestätisch wurde die Premiere in der Londoner Royal Albert Hall am Dienstag begangen: Prinz Charles und Herzogin Camilla waren da, Craig stolzierte im Himbeer-Sakko über den roten Teppich. Bond is back und Britannien ist wieder cool, Brexit hin oder her.

Bond, ein „sexistischer Dinosaurier“?

Freilich: Ganz so wie früher, das geht heute nimmer. Einiges ist passiert, seit „Spectre“ 2015 über Leinwände spukte. Zum Beispiel MeToo. Bond ist Selbstironie sei Dank zwar kein Cancelkultur-Kandidat. Doch eine Krankenschwester wider Willen zum Kuss an sich drücken und sie dann augenzwinkernd zum Sex erpressen, wie weiland Sean Connery in „Thunderball“? Das hält wohl nicht nur Cary Joji Fukunaga, US-Regisseur des neuen Films, für dubios.

Kein Wunder, dass die Britin Phoebe Waller-Bridge, bekannt für als feministisch gefeierte Serien wie „Fleabag“ und „Killing Eve“, medienwirksam als Drehbuchdoktorin für „No Time to Die“ engagiert wurde. Dabei bekam Bond schon 1995 die Leviten gelesen: Von Judi Dench in ihrer Rolle als Agentenchefin M. Sie nannte den Spion in „GoldenEye“ einen „sexistischen, misogynen Dinosaurier“.

Leichtlebiger Schwerenöter ist er seit Craigs Debüt in „Casino Royale“ (2006) keiner mehr. Der heute 53-Jährige verlieh Bond Verletzlichkeit und emotionale Tiefe, ohne seine souveräne Männlichkeit zu untergraben. „No Time to Die“ ist nicht zuletzt ein Abgesang auf Craigs gefühlvollen Geheimdienstler, der Fans seiner 16-jährigen Regentschaft zufriedenstellen sollte.>> Als ein wahrer James Bond in Kitzbühel wedelte [premium]

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Wir treffen ihn sorglos in Apulien, mit seiner aus „Spectre“ bekannten Geliebten Madeleine (Léa Seydoux). Noch haben die zwei „alle Zeit der Welt“. Doch die läuft aus, denn: „Solange wir über unsere Schulter schauen, ist die Vergangenheit nicht tot.“ Schon geht – welch Metapher! – knallend ein Grab in die Luft. Und Craig hüpft, gewohnt körperbetont, von der Aquäduktbrücke – hinein in den eingangs erwähnten Kugelhagel. Wem kann ein Spion da noch trauen?

Vielleicht der jungen Kollegin (Lashana Lynch), die ihm die 007-Nummer streitig macht? Und spöttisch anmerkt, sie habe eine „Schwäche für alte Wracks“ wie ihn? Vielleicht seinen MI6-Bossen, die sich bei der Entwicklung einer Biowaffe verkalkuliert haben? Oder gar seinem Erzfeind Ernst Blofeld (Christoph Waltz), der im Gefängnis Rätselhaftes von sich gibt? Immerhin: Rami Malek (Freddie Mercury aus „Bohemian Rhapsody“) wirkt als Schurke mit Faible für toxische Flora fies genug, um seine Absichten erahnen zu lassen. Oder?

Bond mit seiner jungen Kollegin (Lashana Lynch).
Bond mit seiner jungen Kollegin (Lashana Lynch).(c) Nicola Dove

Alt, müde, paranoid: Da fällt es schwer, als Agent lässige Haltung zu wahren. Craig schafft es trotzdem, dank etlicher Steilvorlagen dieses knapp dreistündigen Parcours durch routiniert abgewickelte Actionszenen und melodramatische Wendetangenten. Bond-Historiker dürfen sich freuen: Eine Hommage jagt die nächste, der gepflegte Kalauer kommt dabei nicht zu kurz: Widersacher mit visueller Prothese „werfen ein Auge“ auf Bond, der ihnen behände „den Kopf verdreht“. Bisweilen geht das Ganze in Richtung Trash, wie in einer auf Kuba spielenden Party-Sequenz. Doch Trash gehört genauso zu dieser altgedienten Reihe wie aberwitzige Gadgets – siehe „Moonraker“.

Letztlich obsiegt ohnehin das Pathos. Was die Ära Craig besonders machte, war ihr zeitgemäßer Seriencharakter: Im Laufe von fünf Filmfolgen durfte sich die traditionsverhaftete Figur weiterentwickeln, Facetten dazugewinnen. „No Time to Die“ bringt diesen Spannungsbogen zu einem stimmigen Schluss.

Wandel, der alles beim Alten belässt

Dabei geht es um Bonds Bereitschaft, Vertrauen zu fassen, den Agentenpanzer abzulegen, kurzum: spät erwachsen zu werden. Was manch einen schmerzlichen Blick in den Spiegel erfordert. Einmal liegt Bond in einem Schlauchboot, einsam, erschöpft und deprimiert, von fast allen guten Geistern verlassen, kein Wodka Martini in Sicht. „Fallen for a lie“, wie Billie Eilish im melancholischen Titelsong singt. Sehr sexy ist das nicht. Im Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ des Büchner-Preisträgers Clemens J. Setz heißt es einmal: „Männer waren wirklich sehr seltsam. Als wären sie traurige Geheimagenten, deren Auftraggeberland nicht mehr existierte.“ Ob Setz dabei an James Bond dachte?

Nur keine Angst: Alles in allem bleibt alles beim Alten. Der Zeitgeist klopft Bond nur ganz vorsichtig auf die Finger. Nach wie vor darf er in stilvoll in Szene gesetzten Betonbunkern um sich ballern. Im glänzenden Aston Martin Geschwindigkeiten übertreten. Schönen Frauen (respektvoll) schöne Augen machen. Und bei aller Empfindsamkeit nie die Kontrolle verlieren. Der Nebel, in dem der Film an einem Punkt versinkt, lichtet sich später wieder. Corona spielt sowieso keine Rolle, obwohl das Wort „Quarantäne“ fällt – „No Time to Die“ war schon 2019 abgedreht.

Bond bleibt sich also treu. Und das wird er wohl auch künftig tun, wer auch immer Craigs Nachfolge antritt. Um sich zu verändern, müsste dieser Geheimagent loslassen können, und das ist für ihn keine Option. Er kann es sich einfach nicht leisten: Zu viel steht auf dem Spiel. Fanherzen, die beim Klang seiner Titelmelodie höher schlagen. Kinoketten, die auf üppige Besucherströme hoffen. Werbeverträge mit Autofirmen, Uhrenherstellern, Bierfabrikanten. Wer hat bei solchen Pflichten schon noch Zeit, zu sterben? James Bond sicher nicht.

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