Mein Freitag

Ein Alarm, der ins Lagerhaus lockt

APA/ROLAND SCHLAGER
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Keine Panik, wenn die Sirene losheult: Das Mittagessen ist fertig, das Lagerhaus hat noch länger offen, und es ist nur ein Test.

Wenn diesen Samstag um zwölf Uhr in Wien die Sirenen heulen, kommen heimatliche Gefühle auf. Bei den aus den Bundesländern Zugezogenen zumindest. Die samstägliche Sirene, gefolgt vom nachdrücklichen Läuten der Kirchenglocken, bedeutete für alle etwas, wenn auch nicht dasselbe. „Das Lagerhaus sperrt zu“, rief etwa der kleine Sohn des Nachbarn einmal, was sich als legendärer Spruch etablierte.

Damals musste man am Samstag vor zwölf Uhr seine Schätze beieinander haben, um in ein erfolgreiches Wochenende zu starten. Das Lagerhaus war das Internet der analogen Jahre. Hier gab es alles, was man brauchte, von der Heckenschere bis zur Übergangsjacke, und eine Großpackung Gummibären obendrauf. Offiziell war man wegen der Werkzeuge dort und der Düngemittel (auch da hat sich viel geändert). Mittlerweile hat das Lagerhaus längere Öffnungszeiten, aber es ist ein Raum der Verzauberung geblieben. Als Städter geht man hinein, als Hobbylandwirt wieder heraus, voll Tipps und blitzender Utensilien.

Für die Kollegin aus der Steiermark bedeutete das Heulen der Sirene als Kind hingegen „Bald gibt's Mittagessen“, wobei man zu der Zeit meistens noch in der Schule saß, eine unvorstellbare Zumutung aus heutiger Sicht. Somit begann mit der Sirene auch erst das Wochenende, wenn man es denn mit Freiheit und Freizeit assoziiert.

Wer in Wien aufgewachsen ist, hat dank der Berufsfeuerwehr, die nicht via Signalton zum Einsatz gerufen wird, keine Erfahrung mit Alarm, der keiner ist. Wenn es in der Stadt schrill wird, steckt immer etwas dahinter. (Außer es handelt sich um ein Auto.) Ein wenig Schrecken fahre ihr daher immer in die Glieder, erzählt eine Freundin, wenn sie bei Ausflügen von einer ländlichen Samstagssirene überrascht wird.

Ungeübte könnten also am Samstag beim Sirenentest ein mulmiges Gefühl bekommen, die anderen unbändige Lust auf den Kauf einer Motorsäge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2021)

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