Weltraumforschung

30 Jahre Austromir: Als Österreich ins All abhob

Am 2. Oktober 1991 startete der „Austronaut“ Franz Viehböck an Bord einer sowjetischen Sojus-Rakete ins Weltall und zog damit die Nation in den Bann. Was aber blieb der heimischen Forschung, und wo steht sie heute?

Es gibt Momente, die keiner so schnell vergisst. Zu diesen gehört wohl auch der 2. Oktober 1991. Nach jahrelangen Vorbereitungen hieß es damals „Sashiganije!“, also „Zünden!“, und um 6.59 Uhr hob die 100 Millionen PS starke Sojus-Rakete mit Franz Viehböck als erstem österreichischen Kosmonauten vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur ab. „Bei mir war es ähnlich wie bei vielen Österreicherinnen und Österreichern ein zentrales Ereignis, das man gern mitverfolgt hat“, erzählt Andreas Geisler, der heute die Agentur für Luft- und Raumfahrt in Wien leitet. Der Astronaut Franz Viehböck sei für ihn der „Franz Klammer des Weltraums“ – eine berühmte Persönlichkeit, die ihre Bekanntheit bis heute mitträgt.

Von einem unglaublichen Schub für die heimische Weltraumforschung berichten Insider noch heute. Österreich war 1987 der Europäischen Weltraumagentur ESA beigetreten und auch Eumetsat, der Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten. Im selben Jahr sprachen die Russen die Einladung aus, bei einem bemannten Raumfahrtprojekt dabei zu sein. Aus 198 Bewerbungen – die Stelle war in österreichischen Zeitungen ausgeschrieben– wurden nach umfassenden Tests der Elektrotechniker Franz Viehböck und als Ersatzmann der Arzt Clemens Lothaller ausgewählt. Der Rest rund um die geglückte Mission ist Geschichte.

Experiment zu Walzerklängen

Franz Viehböck
Franz Viehböck(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)

Doch was blieb von dieser Sternstunde? Man habe durch die Experimente im All viel dazugelernt, sagt Geisler. Ihn beeindruckte etwa der Versuch „Audimir“ besonders. Darin wurde untersucht, wie sich der Mensch im All, wo Reize für Gleichgewichts- und Tastsinn fehlen, akustisch orientiert. Zu Walzerklängen testete Wissenschaftskosmonaut Viehböck mit einer neuartigen Apparatur die sogenannte binaurale Technik, sie sollte einen authentischen Raumklang erzeugen. Von den Erkenntnissen profitierte wissenschaftlich die Neurophysiologie, wirtschaftlich die Kopfhörer-Industrie.

An den insgesamt 15 Austromir-Experimenten zu Weltraummedizin, Physik und Weltraumtechnologie waren rund 20 Universitätsinstitute und -kliniken sowie rund 30 Firmen beteiligt. Verschiedene Aspekte würden bis heute nachwirken, so Geisler. Etwa in Graz, wo man bei der Forschungsgesellschaft Joanneum Research für das Experiment „Videomir“ ein neuartiges Satelliten-Videokonferenzsystem entwickelt hat. Die Wissenschaftler setzten weiter auf Kommunikationstechnologien – ein Engagement, das etwa in den Bau und Betrieb der ersten österreichischen Satelliten mündete. Forschungsteams von TU Graz (Institut für Kommunikationsnetze und Satellitenkommunikation) und der Uni Wien (Institut für Astrophysik) schickten ihre nur wenige Kilo schweren Nanosatelliten am 25. Februar 2013 ins All.

Weltweit führend in Nischen

Federführend mit dabei war stets das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz, sein damaliger Direktor, der Nachrichtentechniker Willibald Riedler (1932–2018) war wissenschaftlicher Leiter von Austromir. In Kooperation mit einem Team des Forschungszentrums Seibersdorf testete man im Experiment „Logion“ neue Methoden, mit denen sich die positive statische Aufladung eines Raumfahrzeugs, zu der es v. a. durch das kurzwellige Sonnenlicht kommt, kompensieren lässt: Maßnahmen, die vor Verfälschungen der Messergebnisse bewahren und letztlich auch für die Sicherheit an Bord sorgen. Heute gilt das IWF u. a. bei Magnetometern, das sind Geräte zur Messung von Magnetfeldern, oder der Erforschung von Exoplaneten, also Himmelskörpern außerhalb unseres Sonnensystems, als weltweit führend. „Wir sind bei vielen Missionen vorn mit dabei und kommen so früh an Daten – und zu attraktiven Publikationen“, sagt Geisler. Österreich besetze dabei vor allem Nischen.

„Wir sind eine Zuliefernation“

In solchen sind auch österreichische Firmen spitze. Für „Logion“ ist erstmals ein Ionenstrahler ins All gebracht worden. Heute werden Ionenstrahlen als Triebwerke eingesetzt. Enpulsion, ein Spin-off der FH Wiener Neustadt, hat die damals entwickelte Technik verfeinert und hilft, Satelliten mit stetigem Rückstoß in die richtige Bahn zu navigieren. Das Technologieunternehmen Ruag Space „verpackt“ Satelliten und schützt sie gegen extreme Hitze oder Kälte. Zu den Kunden der ebenfalls gebauten Navigationsempfänger zählt auch die US-Raumfahrtbehörde Nasa. Und der Magna-Konzern baut Treibstoffleitungen für Trägerraketen, die extremen Bedingungen standhalten müssen.

Österreich fördert Weltraumforschung und -infrastruktur aktuell mit insgesamt 100 Mio. Euro im Jahr, ein wichtiger Schwerpunkt ist der Klimaschutz. Jedoch: „Wir sind derzeit eine Zuliefernation“, sagt Geisler. Das soll sich ändern, man will künftig ganze Systeme statt einzelner Teile anbieten. Solche Entwicklungen brauchten aber viel Zeit. Ob es irgendwann ein zweites Austromir geben werde? Momentan ob der hohen Kosten – für eine Woche auf der Internationalen Raumstation ISS zahlen Staaten einen „Solidaritätsbeitrag“ von 40 bis 50 Mio. Euro – unwahrscheinlich. Durch die kommerzielle Raumfahrt könnten sich aber neue Möglichkeiten ergeben, so Geisler. „Die Tür ist nicht ganz zu.“

Bis auf Weiteres dürfte Franz Viehböck aber nicht nur der erste, sondern auch der einzige Österreicher bleiben, der im All war.

Lexikon

Austromir-91 hieß die bisher einzige bemannte Weltraummission, an der Österreich – auf Einladung der Sowjetunion – beteiligt war. Der Wissenschaftskosmonaut Franz Viehböck startete am 2. Oktober 1991 gemeinsam mit dem Russen Alexander Wolkow und dem Kasachen Toktar Aubakirow an Bord der Trägerrakete Sojus-TM 13 ins All. In der russischen Raumstation MIR führte er sechs Tage lang in Schwerelosigkeit Experimente v. a. für Humanmedizin und Materialwissenschaften durch.
Mehr: www.austromir.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2021)

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